Februar 2017

Langsam hatten wir uns an das Leben mitten in der deutschen Hauptstadt gewöhnt und es kehrte so etwas wie Alltag ein. Wir spürten nicht mehr so ausgeprägt den Drang, dass immer etwas geschehen müsse und eine leere Seite in unserem Kalender vermochte uns nicht mehr zu erschrecken. Dass bedeutet allerdings in keiner Weise, dass Langeweile eingekehrt wäre, denn die riesige Stadt hat wirklich viel zu bieten. Wir hatten zwar eine Liste mit Orten, die wir noch besuchen wollten und mit Dingen, die noch zu tun wären, doch konnten wir jetzt viel ruhiger die richtigen Tage und das passende Wetter dafür abwarten. Auch einmal nichts tun, kann gemütlich sein.

Schon seit längerer Zeit geplant war allerdings der Besuch von Sandra, Tinu und ihrer kleinen Tochter Mika ganz zu Beginn des Monats.

Tinu's Country Band 'Timberline' hatte die Gelegenheit bekommen, hier in Berlin am 'Internationalen Country Music Meeting Berlin' zu spielen. Das konnten sie natürlich nicht ausschlagen und Sandra entschloss sich, sie zusammen mit ihrer Tochter Mika zu begleiten. So konnte auch die Flug- und Reisefähigkeit der kleinen Erdenbürgerin geprüft werden. Mika meisterte die neuen Situationen mit Bravour. Auch das Sightseeing und selbst unser Nachtessen am Breitscheidplatz am Tag darauf konnten sie nicht aus der Ruhe bringen.

Am Sonntagvormittag versammelte sich dann die ganze Band nochmals vor dem Brandenburger Tor und versuchte, eines der berühmt-berüchtigten 'Spring-in-die-Luft-Fotos' zu schiessen. Nach vielen (sehr vielen) Versuchen kam dann doch noch das gewünschte Bildchen zustande.

Ein Familienfoto später pilgerte die ganze Gesellschaft zum wohl verdienten gemütlichen Teil bei Kaffee und Kuchen.

Es war eine lässige Zeit mit Euch zusammen!

Im August des letzten Jahres hatten wir von unserem Besuch in Anklam und vom dortigen Museum für die Gebrüder Lilienthal berichtet, die in dieser Stadt geboren worden waren. Wir waren damals beeindruckt vom unbändigen Willen, der die beiden dazu gebracht hatte, trotz aller Schwierigkeiten ihr einmal gestecktes Ziel zu erreichen. Wir hatten damals auch ein Bild des Fliegerberges angefügt, von dem aus die entscheidenden Flugversuche durchgeführt worden waren. Weil die wirklichen und kaufkräftigen Interessenten für die Fliegerei näher bei der Stadt lebten, waren die Lilienthals von Anklam nach Berlin gezogen und dort steht ihr Fliegerberg noch heute. Aufgeschüttet hatten sie ihn damals noch im Grünen vor der Stadt, heute findet man ihn mitten im Stadtteil Berlin-Lichterfelde. Hier steht der künstliche Erdhaufen als Denkmal und scheint viel zu klein, bedenkt man die ungeheure Entwicklung der Luftfahrt, die vor gar nicht so langer Zeit hier ihren Anfang genommen hatte.
Otto Lilienthal hat schliesslich seinen unbändigen Drang am 10. August 1896 mit dem Leben bezahlt.

In Berlin steht so vieles, was an ungeheuer Schreckliches erinnert, dass man an dieser Stelle ausnahmsweise mit ehrlichem Respekt der Geschichte begegnen kann. Hier hatten Menschen an sich geglaubt, waren überzeugt, scheinbar unmögliches leisten zu können und haben damit die Welt verändert.

  

Auf eine ganz spezielle Form von Städtebau trafen wir beim Besuch der Hufeisensiedlung in Britz. Hier wurde in der Zeit von 1925 bis 1933 versucht, mit einem der ersten grossen Projekte des sozialen Wohnungsbaus der grassierenden Wohnungsnot in Berlin zu begegnen. Wegen dem Ende des ersten Weltkrieges und der damit verbundenen riesigen Arbeitslosigkeit flossen gewaltige Ströme von Binnenflüchtlingen in die Stadt, welche diesem Ansturm in keiner Weise gewachsen war. Auf dem Gebiet des alten Rittergutes Britz entstand um einen aus der letzten Eiszeit stammenden Teich herum eine Siedlung mit zunächst 1300 Wohnungen, die im weiteren Umkreis durch etwa 700 Reiheneinfamilienhäuser ergänzt wurde. In einer letzten Bauphase wurden mehrere, deutlich engere Häuserreihen zugefügt. Der Architekt und Stadtplaner Bruno Taut ermöglichte damit eine richtungsweisende Wohnform, die 2008 gar als UNESCO-Weltkulturerbe ausgezeichnet wurde. Die ausgeglichene Kombination von Häusern und Freiflächen, sowie die kleinen Privatgärten sorgen dafür, dass die Siedlung auch heute noch eine äusserst begehrte Wohngegend darstellt. Sie hatte nach ihrer Fertigstellung als Vorbild gedient für eine grössere Anzahl weiterer Grosssiedlungen mit ähnlichem Anspruchsprofil.


(Foto stadtentwicklung-berlin.de)

Da von Anfang an die Bewohner sozial ausgerichtet und an einem fortschrittlichen Lebensstil interessiert waren, gerieten viele nach der Machtergreifung des NS-Regimes in Misskredit und mussten nach und nach ausziehen. Vierzehn Bewohner kamen bei diesen Massnahmen ums Leben. Die dadurch frei werdenden Wohnungen wurden an linientreue Parteimitglieder weitergegeben.


(Foto hufeisensiedlung.info)

Die Detailansichten zeigen die typischen Elemente des neuen Wohnens.

  

Verschiedene Farben und Formelemente sorgten trotz einheitlicher Bauregeln für eine abwechslungsreiche Umgebung.

  

An einem sonnigen Tag holten wir den Aufstieg beim Französischen Dom nach, den wir im letzten Monat wegen des schlechten Wetters verschoben hatten. Der Ausdruck Dom steht hier nicht für eine Kirche, sondern stammt vom französischen Wort 'dôme' (Kuppel), da das Gebäude zwar an die französische Kirche angebaut ist, aber keine sakrale Funktion hat. Die Kuppel wurde von König Friedrich II einzig aus Symmetriegründen zum Deutschen Dom am andern Ende des Gendarmenmarktes erstellt. Uns führte ein spiraliger Weg auf der Innenseite des Turms hinauf zur Terrasse. Blickt man beim Aufstieg nach oben, sieht man zwar den Glockenstuhl, ahnt aber noch nicht, dass hier ein prächtiges Glockenspiel (Carillon) mit 60 Glocken installiert wurde, das in seiner Mitte das Spielpult für den Glockenspieler einschliesst. Weil die Stunde gerade voll war, erlebten wir das eindrückliche Konzert auf Augenhöhe. Natürlich war es diesmal keine Life-Aufführung. Das Konzert wurde vom Automaten gespielt. 

  

Die Aussicht von der Terrasse ist nicht ein ungetrübtes Erlebnis, weil der Turm nicht sehr hoch und vor allem die Brüstung allzu mächtig und just auf Augenhöhe angebracht ist. Selbst die Öffnungen darunter sind durch ein störendes Gitter versperrt. Lohnenswert war der Aufstieg trotzdem.

  

Das Museum für Naturkunde hat zwar einen etwas verstaubten Namen, bietet aber in seinem Inneren dem Besucher eine Vielfalt von besonderen und zum Teil ganz gekonnt inszenierten Eindrücken. Bereits beim Eintritt in den zentralen Lichthof schlägt einen das gewaltige Skelett eines Brachiosaurus in seinen Bann, ist es doch mit einer Höhe von gut 13 m das grösste voll montierte Saurier-Skelett der Welt. Wahrlich ein imposanter Anblick. Aber auch die daneben montierten Skelette brauchen sich nicht zu verstecken. Weil die installierten 'Fernrohre' jedes Skelett in einer Animation zum Leben erwecken und als lebendiges Tier in seiner Umgebung zeigen, erlebt man die Saurierwelt auf ganz besondere Art.
In einer Sonderausstellung wurde alles gesicherte Wissen über den Tyrannosaurus Rex geboten, der durch den Film Jurassic Park zu weltweiter Berühmtheit gebracht hat. Als Leihgabe zeigte das Museum zur Zeit ein Skelett des gewaltigen Räubers. Von den wenigen, die gefunden worden waren, wohl jenes, das am besten erhalten ist.

  

Eine äusserst reichhaltige geologische Sammlung mit schönen Mineralien, eine eindrücklich zusammengestellte Übersicht zum Thema Biodiversität und eine riesige Sammlung von Tierpräparaten, mit Werken der berühmtesten Präparatoren der Welt, machen den Besuch zu einem nachhaltigen Erlebnis.

Vor wenigen Jahren wurde ein Eisbär im Zoo von Berlin geboren, der als Knut weltweit so gekonnt vermarktet wurde, dass er dem Zoo für lange Zeit bisher unerreichte Besucherzahlen eingebracht hat. Mit nur vier Jahren ist er dann einer Hirnhautentzündung erlegen und begrüsst nun seine Fans in einer Glasvitrine, als wollte er sich für seinen frühen Abgang entschuldigen.


Ein ganz besonderer Ausflug führte uns in den Westen der Stadt, wo am nördlichen Ende des Grunewalds der Teufelsberg liegt. Diese Gegend hat eine bewegte Geschichte und rechtfertigt daher einen Moment der Aufmerksamkeit. An diesem Ort hatten die Nazis mit dem Bau der Wehrtechnischen Fakultät begonnen, die Bestandteil der Welthauptstadt Germania hätte werden sollen. Als die Ressourcen während des Krieges knapp geworden waren, musste der Bau allerdings eingestellt werden. Nach dem Krieg wurde der Rohbau gesprengt und während Jahren fuhren jeden Tag hunderte von Lastwagen hierher und deponierten rund 25 Millionen m³ Ruinenschutt, der von der ganzen Stadt hierher gekarrt wurde. So entstand mit der Zeit ein Berg von 120m Höhe, unter dem das traurigste Kapitel der Geschichte der Stadt begraben liegt. Seinen Namen bekam der Berg allerdings nicht deswegen, sondern weil er ganz nahe beim Teufelsee liegt. Lange Zeit war er die höchste Erhebung in Berlin. Ab den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts wurde der Schutthaufen mit Erde zugedeckt und mit etwa einer Million Bäumen bepflanzt. Das Gelände wurde Parkanlage und Freizeitraum. Selbst verschiedene Wintersportarten wurden hier betrieben. 1986 sogar ein Parallel-Slalom auf Weltcupstufe, der allerdings von einem Österreicher gewonnen wurde. Seither laufen hier lediglich noch Berliner Ski.

Obschon die Gegend im Britischen Sektor lag, weckte der wachsende Berg schon in den 50er Jahren die Aufmerksamkeit der Amerikaner. Diese errichteten hier schnell eine Horch- und Radaranlage und überwachten damit den gesamten Funk- und Flugverkehr bis weit nach Ostdeutschland hinein.

Etwas unglücklich wählten wir unseren Anmarschweg quer durch die Landschaft, durch Schnee und Sumpf und zT auf rutschigen Mountainbike-Routen. Schliesslich standen wir vor einer geschlossenen Umzäunung, die gut drei Meter hoch war. Was wir da sahen war widersprüchlich, morbid und dennoch voller Leben.

     

Erst auf der anderen Seite fanden wir schliesslich den Eingang, bezahlten den geforderten Eintritt und traten in eine (kunter-)bunte Welt ein.

Erst eine nachträgliche Datensuche brachte zu Tage, dass hier eines der grössten Graffiti- und Street-Art Museen Europas liegt und der Gang quer durch die Hallen und auf den Radarturm hinauf war entsprechend abwechslungsreich.

Sehr gekonnte Bilder wechselten mit Halbgegorenem, ...

  

  

... während oben die Aussicht zum Nachdenken über Sinn und Unsinn des menschlichen Tuns anregte. Das Ergebnis war genau so trüb, wie die aktuelle Aussicht auf die Stadt.

  

Anzufügen wäre, dass nach dem Abzug der Amerikaner die Anlagen noch während kurzer Zeit für die zivile Luftverkehrskontrolle verwendet wurden, bevor das Land vom Berliner Senat für etwa 3 Millionen Euro an einen privaten Investor verkauft wurde. Sogar die Stiftung des 'berühmten' Maharishi Mahesh Yogi hatte sich 2008 um den Kauf beworben und wollte eine vedische Friedensuniversität mit einem 50m hohen Turm erbauen! Der Rückkauf kommt heute für die Stadt nicht mehr in Frage, weil sich in der Zwischenzeit Hypotheken von über 35 Mio angesammelt haben. Darum haben Vandalismus und Alternativkultur das Zepter übernommen und einen neuen Erlebnisraum geschaffen.

Ein Muss für jeden Besucher sind die ehrwürdigen Gebäude auf der Museumsinsel. Diese ist allerdings im Moment etwas weniger attraktiv, weil sie einer riesigen Baustelle gleicht. Den Anfang machten wir mit dem Neuen Museum. Es enthält neben reichhaltigen Sammlungen zu praktisch allen Epochen der Weltgeschichte auch eine ganz ausserordentliche Ausstellung zur Geschichte Ägyptens. Das wohl bekannteste Exponat dabei ist die Büste der Nofretete, die, obwohl sie unerwartet klein aber erstaunliche 3300 Jahre alt ist, auf jeden Besucher einen gewaltigen Eindruck macht. Gerade aus diesem Grund ist das Fotografieren streng verboten, was durch die drei ständig anwesenden Beamten äusserst strickt kontrolliert wird.

  
(Bilder aus der Museumswebsite)

Im November 2016 hatten wir schon vom Verein Urania berichtet, der, von Alexander von Humboldt begründet, sich dem Anliegen verpflichtet hat, was an der Universität erarbeitet wird, in geeigneter Form an die Bevölkerung weiter zu geben. Wir hatten mehrfach diese Möglichkeit genutzt, um damit auch etwas für unsere geistige Fitness zu tun. Dabei mussten wir jeweils an der U-Bahnstation Mehringdamm in den Bus umsteigen. Dabei sind wir immer an einem Kebab-Stand vorbeigekommen, vor dem regelmässig die Kunden in einer bis zu 50m langen Schlange anstanden und auf ihr Essen warteten. Wo so viele warten, muss es ja etwas ganz besonderes geben und so haben wir uns entschlossen, es ausserhalb der normalen Essenszeiten auch zu einmal versuchen. Denn dann hielte sich die Wartezeit bestimmt in Grenzen.
Gute zwanzig Minuten hatten wir in der Reihe gestanden, bevor die Bude wenigstens klar in Sichtweite kam.

Der grossen Nachfrage entsprechend, war der Kebabspiess mächtig. Vier Männer arbeiten den ganzen Tag fleissig. Sie sind für die lange Wartezeit nicht direkt verantwortlich.
Was lange währt ...

  

... wird endlich gut!

Wohl mehr der Not als dem eigenen Trieb gehorchend, macht die Bierschenke daneben mit einer Tafel im Schaufenster klar, dass man auch gerne sein Essen mitbringen könne, sofern man wenigstens ein Bier trinke. Das liessen wir uns nicht zweimal sagen, denn drinnen war es gemütlich warm, das Essen schmeckte mit einem Bier noch besser, der Hunger und der Gwunder waren gestillt!

Doch was wäre der Monat ohne lisme? Und weil das am besten geht, wenn man dabei plaudern kann, richtet frau sich entsprechend ein!
Ein Nachmittag am Ende des Monats bei Bernadette und Heinz auf der Dagens 2 passte da perfekt!



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