September 2019  

Eigentlich haben wir es gut hier in St.Jean de Losne. Zwar wäre es uns am Anfang des Jahres nie in den Sinn gekommen, dass wir einen ganzen Sommer da verbringen würden. Aber inzwischen haben wir uns gut eingelebt. Wenn auch der Raum auf unserem Schiff, im Vergleich zu einer normalen Wohnung, etwas eingeengt sein mag, bietet er doch alles, was man zum Leben braucht. Das Schiff ist unser Zuhause, erlaubt uns, unterwegs zu Hause zu sein. Dass es mit seiner eigentlichen Bestimmung, zu fahren und damit immer wieder den Ort zu wechseln, dieses Jahr nicht so recht klappen wollte, damit haben wir uns (zu unserem eigenen Schutz) ziemlich schnell abgefunden. Es gibt Schlimmeres.

Fast jeden Montag wird hier das Trockendock geflutet (Titelbild) und die zwei oder drei Schiffe, die darin die Woche zuvor verbracht hatten, werden in die Freiheit entlassen. Der Vorgang des Flutens bietet immer wieder ein eindrückliches Schauspiel. Damit im Dock selber der Wasserspiegel genügend hoch steigt und so die aufgebockten Schiffe überhaupt von ihren Sockeln wegkommen, muss zusätzliches Wasser in das Becken gewaschen werden. Allein zu diesem Zweck hält sich das Atélier Fluvial, Besitzerin des einzigen Trockendocks weit und breit, eine alte Péniche, die 'Ornano'. Mit ihrem Heck wird sie vor dem Eingang festgebunden und ihr kräftiger Motor spritzt dann mit Vollgas das benötigte Wasser ins Dock. Erst dann schwimmen die Schiffe genügend auf und die Sockel darunter können entfernt werden. Damit sind die Schiffe wieder frei zum Auslaufen. Meistens bedeutet das für ihre Besitzer Erlösung und Beruhigung zugleich, sind sie doch zumeist zur obligatorischen Kontrolle und für allfällige Reparaturen überhaupt hierher gekommen. Wenn alles so verlaufen war wie erwartet, ist das natürlich Grund zur Freude und bietet beruhigende Aussicht auf weitere Jahre nautischen Wanderlebens.

Doch nicht immer kommt es so. Der eine oder andere erlebt mit der Bekanntgabe der Messwerte durch den staatlichen Experten eine böse Überraschung. Gar nicht so selten genügt die gemessene Dicke der Stahlplatten nicht mehr den reglementarischen Anforderungen. Oder die Nieten, die beim Bau der zumeist älteren Schiffe verwendet worden waren, sind im Laufe der Zeit zu stark erodiert. Beides Grund für zumeist recht aufwendige Schweissarbeiten. Zusätzlich müssen fast immer die Anoden ausgewechselt werden, die während Jahren den Schiffsrumpf vor allzu starker Korrosion schützen. Oft sind auch die Lager der Antriebswellen ausgeschlagen und verlangen nach Ausbesserung. Es gibt noch viele weitere Mängel, die entweder viel kosten oder gar nicht in nützlicher Zeit behoben werden können. Wenn zu viel zusammenkommt, dann ist für nachhaltigen Ärger beim Besitzer gesorgt. Glücklich also, wer über genügend Geduld und gute Nerven verfügt. Da für die Expertise das Unterschiff mit dem Hochdruckreiniger gewaschen werden muss und danach bis fast zur Bordkante neu gestrichen wird, hilft wenigstens der damit geschönte Anblick etwas über den allfälligen Ärger hinweg.

Einen besonders gefreuten Moment erlebte unser Freund Gilles, der Physiker (siehe Juni 2019), der wegen einer recht komplizierten Geschichte während fast dreier Monate unter sehr unkomfortablen Bedingungen mit seinem Wohnschiff Sigolaine im Hafen festgehalten worden war. Auch er hatte während dieser Zeit ausgiebig Ärger mit den französischen Behörden. Das beleidigte seinen Stolz als Franzose und drohte damit, ihm die Freude am sonst so schönen Sommer nachhaltig zu verderben. Natürlich konnten auch wir das nicht ändern, aber ein gemütlicher Schwatz da und dort und ab und zu ein gemeinsames Essen, das machte das Leben doch um einiges erträglicher.

Gegen Mitte des Monats hat er dann, fast etwas überraschend, doch noch die Bewilligung erhalten, mit seinem Schiff an seinen angestammten Liegeplatz zurückzukehren. Hocherfreut hat er sich darauf auf die Rückreise gemacht, die er sich auch nicht durch die Aussicht hat trüben lassen, dass er im nächsten Jahr wiederkommen muss. Die geforderten Instandstellungsarbeiten wurden ihm natürlich nicht erlassen. Sie wurden lediglich etwas aufgeschoben.
Das Fahren mit dem ungewöhnlichen Antrieb war bestimmt nicht einfach und seine mangelnde Übung am Steuer bestimmt auch nicht besonders hilfreich. Sicher und in genügendem Abstand ist er aber an uns vorbeigefahren, den Blick geradeaus auf's Ziel gerichtet, an dem er nach drei Tagen auch mehr oder weniger wohlbehalten angekommen ist. Lediglich beim Durchfahren unter einer Brücke war er für einen Augenblick zu wenig aufmerksam gewesen und hatte seinen Kopf unsanft an der Brücke angeschlagen.

     

Aber auch wir hatten unser kleines positives Erlebnis. Das neue Fenster im Steuerhaus, dessen Vorgänger sich  vor zwei Monaten plötzlich verkrümelt hatte (siehe Juni 2019), war eingetroffen und liess sich ohne Probleme einbauen. An kleinen Dingen soll man sich erfreuen!

  

Aus lauter Freude an unserem kleinen 'Garten' veröfftentlichen wir hier noch einmal ein Bild des wild spriessenden Basilikumstrauches, der uns nebst vielen Bienen auch anderen, eher überraschenden Besuch herbeigezaubert hat. Was diese Mantis aber wirklich bei uns suchte, das hat sie uns nicht gesagt.

  

Natürlich galt unsere Hauptsorge weiterhin den Fragen im Zusammenhang mit unserem Getriebe. Wir haben Informationen eingeholt, wo immer wir konnten. In Holland, dem Mekka der Binnenschifffahrt, in England, wo Enthusiasten die Geschichte um den Gardner-Motor weiterhin am Leben erhalten, aber auch ganz in der Nähe. Ruedi von der Cornelia Helena hatte ein ganzes Berufsleben lang sich mit Kurs-Schiffen auf dem Vierwaldstättersee abgegeben und dabei viel Geschichte direkt miterlebt. Er besitzt einen Wissensschatz, den wir gerne anzapften.

Wir haben mit ihm zusammen darauf das ganze System in allen möglichen Situationen geprüft und dabei immer weniger Mängel gefunden. Schlussendlich sind wir Ruedi's Ratschlag gefolgt und sind erneut auf die Saône gegangen. Flussauf, flussab haben wir alles versucht und sind dabei zur Überzeugung gekommen, dass es wohl irgend eine unglückliche Verkettung von Umständen gewesen sein muss, die uns so lange beschäftigt hatte. Vielleicht hatten wir während des Vorfalls vor lauter Aufregung die Symptome auch nicht ganz korrekt interpretiert. Beim besten Willen konnten wir jetzt kein abnormales Verhalten unseres Getriebes mehr feststellen. Trotzdem bleiben wir fest entschlossen, das ganze System besser kennen zu lernen und mit dem neuen Wissen noch gründlicher zu prüfen.


Zufrieden mit dem Ergebnis legten wir, von einem grossen Kummer befreit, am Quai National an und genossen hier während einigen Tagen ungetrübtes Feriengefühl bei allerschönstem Sommerwetter. Der Himmel hatte ein Einsehen mit uns und er schien wieder gutmachen zu wollen, was immer es auch gutzumachen gab. Uns sollte es recht sein!

Eine uns bislang unbekannte Frau hat uns einmal angesprochen und uns daraufhin ein Foto übermittelt, das sie während des letzten Winters geschossen hatte. Es zeigt unser Schiff an genau jener Stelle, an der es auch dieses Jahr überwintern wird. Bei den Mitte September immer noch herrschenden sommerlichen Temperaturen wirkte der Anblick der festgefrorenen Mizar fast ein wenig absurd. Es war uns aber klar, dass es gar nicht mehr lange dauern würde, bis er wieder an Aktualität gewinnt. Dann werden wir bestimmt mit Wehmut zurückdenken, an die warmen Sommertage, die uns jetzt manchmal fast ein wenig zu heiss erschienen.

Bereits am zweiten Tag an unserem neuen Standort bekamen wir Besuch von der Brigade Fluviale. Derart locker waren wir aber noch nie eine Polizeikontrolle angegangen. Fast etwas demonstrativ klaubten wir unsere druckfrischen Papiere hervor, gegen die nun wohl auch der strengste Polizist kaum etwas einwenden konnte. Selbst die Feuerlöscher und die Rettungswesten glänzten alle mit neuestem Kontrolldatum. Gegen Ende des Besuches wurde der Beamte sogar etwas gesprächig. Auch er hatte schon einiges mitbekommen von der chronischen Langsamkeit der Behörden und hat sich selber darüber geärgert. Er erzählte über seine Erfahrungen mit Binnenschiffern, die auch ihm oft Mühe bereiteten. Seine Sicht von der anderen Seite konnten wir in vielen Punkten gut nachvollziehen. Im besten gegenseitigen Einvernehmen hat er sich dann verabschiedet und sich auf die Suche nach seinem Kollegen begeben, der sich, selber offenbar weniger gesprächig, gleich zu Beginn ganz still aus dem Staub gemacht hatte.

Vor der endgültigen Rückkehr an unseren Winterliegeplatz machten wir noch einen kurzen Ausflug in die alte Schleuse von St.Jean de Losne. In diesem längst stillgelegten Bauwerk an der Saône sind vor allem grössere Schiffe stationiert, da Liegeplätze für solche Schiffe in der Gegend sehr gesucht sind. Die Einfahrt ist eng und es ist beruhigend zu wissen, dass ganz am Ende des Beckens genügend Platz zum wenden ist.

Einige der Schiffe sind ganzjährig bewohnt, andere warten geduldig, bis ihre Besitzer sie abholen zu einer ausgedehnten Ferienfahrt. Der Hafen ist aber auch ein ausgezeichneter Werkplatz, wo Unterhalts- und Ausbauarbeiten erledigt werden können. Erstaunlich viele Schweizer haben hier so etwas wie eine zweite Heimat gefunden.
Wie ein kleines Dorf gruppieren sich die Schiffe dem Ufer entlang und ermöglichen so ihren Bewohnern ein fast normales schweizerisches Dorfleben. Sogar mit Gärtchen und Gartenhag!
An der linken Seite der 'Dorfstrasse' wohnen Ruedi und Kathrin auf der Cornelia Helena. Als aufmerksame Wächterin mit gesundem Misstrauen sorgt Felia dafür, dass keine ungebetenen Gäste auf's Schiff kommen.

     

Im letzten Monat haben wir bereits kurz über den Bookswap berichtet, der im Laufe der Zeit zu einem wichtigen Treffpunkt für die in St.Jean de Losne stationierten Schiffer geworden ist. Untergebracht ist er im ersten Stock des Musée de la Batellerie und seine Auswahl an Lesestoff ist ganz beachtlich. Zugänglich ist er während der normalen Öffnungszeiten des Museums. Immer am Mittwoch um 10.30 erwacht er aber zu selbständigem Leben.

  

Fleissige Hände und gütige Seelen sorgen dann dafür, dass immer Ordnung in den Regalen herrscht und dass, was mindestens ebenso wichtig ist, immer genügend Kaffee und etwas zum Knabbern bereit liegt. Dann werden hier Erlebnisse und Erfahrungen ausgetauscht, Reiserouten besprochen und allfälliges Heimweh behandelt. Englischsprechende lernen Französisch, Französischsprechende helfen dabei und profitieren mit.
Ganz im Zentrum sitzt Germaine, die selber einen Grossteil ihres Lebens auf einem Schiff verbracht hat und seit über zwanzig Jahren den Büchertausch betreut. Beruhigt darf sie zur Kenntnis nehmen, dass es jetzt jüngere Hände gibt, die dafür sorgen, dass ihr Werk weiterhin seine wichtige Aufgabe erfüllen kann.

     

Die erfreulichen Erkenntnisse zu unserem Motoren/Getriebeproblem haben uns zu einem entspannten Ende der Saison verholfen. Während dem neuen Ausflug auf die Saône, sowie dem Abstecher in die alte Schleuse haben sich keine Hinweise auf ein mangelhaftes Funktionieren ergeben. Selbst die Spezialisten in England haben auf Grund unserer Film- und Tonaufnahmen geraten, auf weitergehende Massnahmen zu verzichten, weil möglicher Gewinn und Aufwand in keinem vernünftigen Verhältnis stehen würden. Zum Schluss haben wir noch mit einem Messgerät die Drehzahlen des Motors kontrolliert und mit der Anzeige im Steuerhaus verglichen. Diese Messungen entsprechen ziemlich genau den Werten, wie sie vom Werk vorgegeben worden sind, während die alte Anzeige der Wahrheit etwas hintennach hinkt. Damit verblieben uns nur noch die üblichen Arbeiten zum Einwintern der Mizar, damit sie die kalte Jahreszeit ohne unser Zutun schadlos überstehen wird.

Eine etwas spezielle Saison geht so ihrem Ende entgegen. Sie war in keiner Weise so verlaufen, wie wir uns das vorgestellt hatten. Im Rückblick dürfen wir aber sagen, dass trotzdem nie Langeweile aufgekommen ist und wir einfach eine andere Seite des Schifferlebens gesehen haben, wie es sich eben durch äussere Umstände ergeben kann. Andere haben vor uns schon diese Erfahrung gemacht und es wäre zu naiv zu glauben, dass immer alles nach unseren Plänen verlaufen müsse.
Wir sind zufrieden, denn die Bilanz ist trotz allem positiv.

Der Winter kann kommen.

Jahrestotal 2019:
- 6 h 25' Motorzeit
- 5 Schleusen
- 19 km

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