September 2020
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In Dannemarie gefiel es uns gut und das Wetter war
schön. Wir blieben darum ganze zehn Tage. Die Hafenmeisterin war
herzlich und hilfsbereit. Im Laufe der Zeit ergab sich auch mit anderen
Hafenbewohnern ein kameradschaftliches Verhältnis. So lebten wir zwar
auf dem Wasser, aber sprichwörtlich auf dem Land. Das Dorf ist klein und
überschaubar, bietet jedoch alles, was es für ein unbeschwertes Leben
braucht. Ganz offensichtlich war unsere Umgebung elsässisch, was sich vor
allem an der Sprache zeigte, da geschichtlich die Gegend immer mal
wieder diesseits und dann erneut jenseits der Sprachgrenze lag. Das
hinterliess überall Spuren, nicht nur auf den Strassenschildern, sondern auch im Wesen der Leute.
Diese haben es
offenbar geschafft, von
beiden Seiten den besseren Teil für sich zu behalten.
Auffällig sind die gepflegten, bunten Fassaden, die nach unserem
Empfinden von ungebrochener Lebensfreude zeugen.
Während dieser Zeit beschäftigten wir uns ausgiebig mit der Frage,
welche Dokumente und Vorkehrungen wir für die Weiterreise nach
Strassburg benötigen würden, sei es für das Schiff oder die persönlichen
Ausweise. Immerhin würden wir nach der Schleuse von Niffer auf dem Rhein
fahren. Der ist in jener Gegend zwar weitestgehend kanalisiert und darum
ist ihm nicht mehr viel vom Charakter eines Flusses geblieben. Aber er
ist die bedeutendste Binnenwasserstrasse Europas mit entsprechendem
Verkehr. Wir werden da ein winziger Teilnehmer zwischen Riesen sein.
Allerdings gelten ab einer bestimmten Schiffslänge besondere Bedingungen
für die Fahrt auf dem Rhein, die nicht ganz einfach zu erfüllen sind. Wie
immer sind die offiziellen Unterlagen und Vorschriften schwierig zu
finden und dann, bei genauerer Betrachtung, in sich widersprüchlich oder
zumindest unklar. Ein
gefundenes Fressen für Juristen und ein gut gefüllter Honigtopf für
Beamte. Europa ist und bleibt eben ein Konglomerat von verschiedenen
Staaten und Völkern. Diese zu einigen, ist bis jetzt mehr schlecht als
recht gelungen. Und wenn sich die Behörden und Ämter der verschiedenen
Mitgliedstaaten nicht
verstehen wollen, ist das eben nicht nur ein Sprachproblem. Unsere Kontaktaufnahmen mit französischen Behörden scheiterten
meist daran, dass diese gar nicht antworteten. Solches Verhalten war uns
bereits bekannt und darum
fehlte es uns eigentlich nicht an Geduld. Aber wir hatten schlicht nicht mehr genügend Zeit.
So lange konnten wir nicht
warten. Auf der anderen Seite
ergaben unsere ausführlichen Diskussionen mit verschiedenen Experten leider fast so
viele
verschiedene Resultate wie Experten.
So blieb uns zuletzt nur das altbewährte französische System 'D'
(débrouillez-vous!).
Und es sei hier vorweggenommen: es hat bestens funktioniert!
Ein besonderes Erlebnis war der Besuch von Dominique und
Urs, die selber vor längerer Zeit mit ihrer RIA
mehrere Jahre an genau der selben Stelle in Dannemarie gelegen hatten
wie jetzt wir. Heute leben sie
wieder auf dem Festland, denken aber offensichtlich immer gerne an ihre
Schifferzeit zurück. Vielleicht war
es Heimweh nach der Gegend oder einfach nach dem Leben auf einem Schiff,
jedenfalls zog sich das gemeinsame Mittagessen bis weit in den Nachmittag
hinein.
Aber wir hatten immer ausreichend Gesprächsstoff und die Zeit war wie im Flug vergangen, als sie gegen
Abend wieder ihren Heimweg mit dem Auto antraten.
(Danke Domi für die Fotos!)
Die Weiterfahrt nach Mulhouse führt durch 26 Schleusen und die VNF lässt dabei jedes Schiff durch einen Angestellten begleiten, der mit seinem Roller auf dem ehemaligen Treidelpfad vorausfährt und dafür sorgt, dass die nächste Schleuse bereit ist, wenn das Schiff dann endlich eintrifft.
Wir hatten für diese Reise zwei Tage eingeplant und darum am Quai bei Heidwiller übernachtet. Am nächsten Tag ging es auf die selbe Weise weiter. Dabei entwickelte sich mit dem 'persönlichen Schleuser' so etwas wie ein freundschaftliches Verhältnis, das sich auch darin äusserte, dass er zwischen zwei Schleusen entlang des Kanals einen hübschen Blumenstrauss geschnitten hat und ihn unserer Kapitänin mit echt französischem Charme überreichte.
Auf dem ganzen Weg sind wir nicht mehr als drei Schiffen begegnet. Wenn aber der VNF-Mann davon erzählte, dass voraussichtlich schon bald die Schleusen automatisiert würden, klang das beinahe etwas wehmütig. Er würde ja durch diesen Ausbau seine Arbeit verlieren und der magere Verkehr provoziert die Frage nach dem wirtschaftlichen Sinn.
Im Hafen von Mulhouse gab es keinen Platz für uns. Bei einem kurzen Telefongespräch mit dem Hafenmeister hat dieser uns mitgeteilt, dass er nichts dagegen habe, wenn wir am Ponton unter dem Stoffdruckmuseum anlegen würden. Dieser ist normalerweise für einen Elektrobootvermieter reserviert, dessen Geschäft im Moment allerdings ruhte. Also machten wir am leeren Steg fest und hatten so einen wunderbaren Liegeplatz für drei Tage. Mitten in der Stadt.
In Fussdistanz besuchten wir die schönsten Plätze und erfreuten uns ob der entspannten Atmosphäre und den blumig geschmückten Häusern, Plätzen und Brücken.
Seit wir von St.Jean weggefahren waren, hatte sich unsere Fahrt mehrfach mit jener der roten Tjalk Meander überschnitten. Während unseres langen Aufenthaltes dort hatten wir das Schiff im Trockendock bemerkt, es damals allerdings niemandem zuordnen können. Erst in Montbéliard haben wir seinen Besitzer Thorsten kennengelernt, der die Tjalk, wie er uns erzählte, jeweils während den Wochenenden, näher zu seiner Heimat brachte. Vor nicht allzu langer Zeit hatte er sie erworben und will nun in Mulhouse ihren weiteren Ausbau vorantreiben. Hier fanden wir eine gute Gelegenheit, ihn bei seiner Arbeit zu stören. Der Kauf eines alten Schiffes ist immer eine spannende Angelegenheit, die Herzblut bewegt, von vielen Emotionen begleitet wird und eine echte Herausforderung für die Nerven ist. Er zeigte uns das geräumige und praktische Innere seines Schiffes und erklärte seine Ausbaupläne. Bestimmt werden wir ihm in der Zukunft wieder irgendwo begegnen. Von Herzen wünschen wir ihm viel Freude beim Umbau und dann beim künftigen Mäandern quer durch Europa immer gute Fahrt.
Die Schleuse 41 nach Mulhouse ist die letzte, die von der VNF im oben
beschriebenen Stil bedient wird. Danach kommt der grosse Hafen der Stadt
und die Schiffe werden entsprechend grösser. Dieser hier ist vom Rhein
rückwärts in den Hafen gefahren, weil er im Kanal nicht mehr wenden
kann. Er machte es locker, kam uns aber beeindruckend nahe.
Die neue, grosse Schleuse von Niffer stand bei unserer Ankunft offen und brachte uns auf das Niveau des Rheins. Sie ist erst 1995 eingeweiht worden und gross genug, Schiffe der Europaklasse bis 85 m Länge abzufertigen.
Jetzt lag der Rheinseitenkanal (Grand Canal d'Alsace) vor uns, mit unablässigem Verkehr in beide Richtungen, auch während der Nacht. Damit wir eine sichere Anlegestelle hatten, belegten wir mit der ausdrücklichen Zustimmung des Schleusenwärters den Quai unterhalb der alten, kleinen Schleuse von Kembs-Niffer, die etwas südlich der grossen Schleuse liegt. Sie war um 1960 noch für Freycinet-Pénichen (40 m) gebaut worden, die heute kaum mehr verkehren. Kein geringener als Le Corbusier hatte sich damals mit dem Kontrollturm und dem Verwaltungsgebäude abgemüht. Er ahnte damals wohl kaum, dass sein Werk so rasch an Bedeutung verlieren würde.
Das Kommen und Gehen der grossen Schiffe, die auf der Wasserstrasse nord- und südwärts fuhren, schickte zur Begrüssung ständig kräftige Wellen zu uns herüber. Was anfänglich noch etwas Kummer bereitete, wiegte uns etwas später sanft in den Schlaf. Diesen konnten wir gut gebrauchen, hatten wir doch für den nächsten Tag eine strenge Etappe vor uns.
Etwa 114 km und 8 Schleusen trennten uns noch von unserem Ziel. Etwas viel
für einen Tag. Darum starteten wir früh; während der Morgendämmerung und mit
einem leicht flauen Gefühl im Magen.
Und drehten nach Backbord in den Rhein.
Die Schleusen dort waren gross, mit genügend Platz für mindestens zwei grosse Schiffe und eine jede senkte uns sanft etwa 14 m tiefer Richtung Strassburg. Das entspricht der Höhendifferenz, die der Rhein auf dieser Strecke zu überwinden hatte, als er seinen Weg noch ungehindert selber wählen durfte.
Zwischen den Schleusen war die Wasserstrasse weit und ruhig, ganz wie es die Landschaft vorgab.
Nach fast 11 Stunden Fahrt, mit einer Drehzahl, die wir unserem Motor bislang nie während so langer Zeit zugemutet hatten, erreichten wir mit einer Geschwindigkeit von bis zu 14 km/h am späten Nachmittag die ersten Brücken von Strasbourg/Strassburg.
Rasch kam die Stadt näher ...
... und dann ging es nicht mehr lange, bis wir an dem für uns
reservierten Platz festmachen konnten. War das ein langer Tag!
Hier und mit dieser Aussicht werden wir den nächsten Winter verbringen.
Zwei Tage später ist
Matz per TGV und Bus nach Dijon und St.Jean-de-Losne gefahren. Sie
wollte unser kleines Auto zurückholen, das dort während der letzten
Monate
brav auf uns gewartet hatte.
Dabei traf sie am Quai National unvermittelt auf Muriel und
Hans, die dort mit ihrer Polaris
(siehe November 2019) angelegt hatten. Spontan wurde Matz zum Nachtessen eingeladen, was beweist, dass
Schiffer eben immer wieder irgendwie zusammenfinden. Offensichtlich hat
es allen geschmeckt! Jedenfalls
schlenderte sie danach zufrieden durch das nächtliche Städtchen, zurück
zum BnB Les Charmilles, ihrer Unterkunft für diese
Nacht.
Nachdem Matz von ihrem Ausflug
nach Strassburg zurückgekommen war, begannen wir, uns hier gemütlich einzurichten. Wir
haben, nach all den Ungewissheiten, denen wir am Anfang des Jahres
gegenüber standen, jetzt unser Jahresziel erreicht und
waren zufrieden. Zwar setzte die Corona-Geschichte immer noch ein paar
Fragezeichen und die publizierten Zahlen strebten unablässig in die Höhe. So waren wir zunächst nicht sicher, ob wir unseren
halbjährlichen Besuch in der Schweiz wie gewohnt würden antreten können. Mögliche
Quarantänebestimmungen könnten dafür fast über Nacht neue Bedingungen
schaffen.
Das goldene Leuchten bei untergehender Sonne, das uns von einem
unserer Nachbarschiffe entgegenstrahlte, nahmen wir aber als Zeichen dafür,
das die nähere Zukunft strahlend sein würde.
So brachten wir unsere Velos an Land und machten uns auf, die Stadt und unsere weitere Umgebung zu erkunden. Wir entdeckten dabei so viel Aussergewöhnliches, dass es uns sofort klar wurde, dass wir hier für die eingeplanten Monate genug zu tun haben würden, wollten wir auch nur ein paar der Sehenswürdigkeiten etwas gründlicher anschauen.
Der erste Blickfang war dabei sicher der Münsterplatz mit dem Münster, dem Haus Kammerzell mit der reichen Schnitzfassade aus dem 16.Jahrhundert und die Strasse des alten Fischmarkts.
Bei weiteren Rundgängen durch die Stadt fanden wir hier endlich auch den unnachahmlichen Blumenschmuck wieder, den wir schon vor Jahren in Frankreich so bewundert hatten (siehe September 2009, Juli 2011).
Einer der letzten Spätsommernachmittage hat uns dann auch noch zu einer (kleinen) süssen Sünde verführt.
Das Europaparlament ist ein beeindruckender Bau, der allerdings eine Behörde beherbergt, die dem Gebäude kaum gerecht zu werden vermag.
Wir hielten uns fast immer an die geltenden Vorschriften. Hansruedi vergass sie aber, als er plötzlich neben einer grünen Ausgabe seines allerersten Autos stand (das allerdings ganz weiss war). Seinen Stolz von damals wollte er offensichtlich nicht verbergen.
Kurz danach fanden die sonnigen Tage ein schnelles Ende und machten
feuchtem und kühlem Herbstwetter Platz.
Zwei Tage später schalteten wir zum ersten Mal die Heizung ein. So
schnell kann das gehen.
Das war ein prächtiger Sommer!
> Monat September 2020:
- 23 h 15'
- 33 Schleusen
- 156 km
>
Jahrestotal 2020:
- 82h 30' Motorzeit
- 120 Schleusen
- 4 bewegliche Brücken
- 3 Tunnel
- 359 km