Juli 2021   

Wie leicht hätten wir in dieser Umgebung den Rest der Welt vergessen können, denn es ging uns in Nancy wirklich gut. Trotzdem kam er dann nach zwei Wochen doch: der richtige Moment weiter zu fahren. Am zweitletzten Tag des Monats Juni verliessen wir die gastliche Stätte und fuhren Richtung Norden. Allerdings nicht sehr weit, denn wir hatten es ja alles andere als eilig. Den ersten Halt legten wir bereits in Millery ein, wo ein schöner Steg, in einer Schlaufe des alten Flusslaufes gelegen, zum Verweilen einlud. Einladend war nicht nur der Steg, sondern auch die gepflegte Umgebung und ein Parkplatz für Camper, der mit allen Einrichtungen versehen war und so auch den Strassennomaden einen komfortablen Halt geboten hätte.
Das einzige Problem war, dass der Touchbildschirm des Automaten, der Zugang zu Wasser und Strom hätte geben sollen, wohl aus lauter Langeweile heiss geworden war und seinen Dienst gekündigt hatte. Wir hatten von beidem genug, Strom und Wasser. Für die Camper mag das anders ausgesehen haben. Trotzdem haben wir den Schaden umgehend auf der Mairie gemeldet. Die Meldung wurde dort von einer jungen Dame zwar freundlich entgegen genommen, aber passiert ist dann in den nächsten vier Tagen ... rein gar nichts! Der Platz schien selten benutzt zu werden, denn wir hatten in dieser Zeit ein einziges Mal Besuch von einem Mietboot. Die Camperparkplätze waren den ganzen Tag von den Personenwagen der ansässigen Bevölkerung belegt und die Tafel, welche die Plätze ausdrücklich als für Camper reserviert ausgezeichnet hatte, war mit einem Plastiksack abgedeckt worden. Dabei hätte es sogar einen funktionierenden Baguette-Automaten gegeben, der auf Wunsch frisches Stangenbrot lieferte, und jeden Morgen kam zusätzlich ein Bäcker (der Konkurrenz?) mit dem Auto vorbei, der ein reichhaltiges Angebot an Brot und Croissants verkaufte.

Das alles hat auch uns gefallen. Kurzentschlossen haben wir uns vorgenommen, den bequemen Zugang auf dem Steg zu nutzen, um die Farbe auf der linken Seite des Schiffes etwas aufzufrischen. Doch vorher sind wir mit dem Velo nach Custines gefahren, unsere Vorräte aufzustocken. Dabei sind wir durch eine schöne, weite Flusslandschaft gekommen, in der die Mohnwiesen unseren üppig wachsenden roten Blumenschmuck auf dem Schiff zu übertrumpfen suchten. Bei der Rückkehr begrüsste uns der Kleine Schillerfalter (Apatura ilia) auf dem Schiff, der uns mit seinem Besuch derart erfreute, dass wir ihm den Ehrenplatz in unserem Monatsbericht anboten. Er hat noch etwas an unseren Blumen genascht und ist dann weiter seinen Geschäften nachgegangen. Er musste sich beeilen, eine Partnerin zu finden, steht er doch schon längst auf der Roten Liste.

Wir haben wacker mit Schleifpapier und Pinsel hantiert, als Matz plötzlich bemerkte, dass schwarzer Rauch unter dem Deckel zum Piek hervorquoll. Der Anblick, der sich ihr dort bot, war alles andere als erfreulich.

Irgend etwas hat unserer Wasserpumpe, die seit Jahren anstandslos ihren Dienst getan hatte, nicht gefallen. Es war ein Glücksfall, dass der Schaden rasch entdeckt wurde. Entsprechend konnte er auch rasch behoben werden, denn eine zweite Pumpe war seit den Renovationsarbeiten vor ein paar Jahren immer noch an Bord. Wir blieben also vier Tage in Millery und erledigten unsere Malerarbeiten immer dann, wenn es nicht gerade regnete. Und es regnete oft.
Am fünften Tag fuhren wir dann weiter, gebührend verabschiedet von den Anwohnern, die sichtlich erfreut waren, dass endlich wieder jemand ihren schönen 'Hafen' benutzt hatte.

Am Tag darauf fuhren wir auf der 'Moselle Canalisée' weiter. Wir waren jetzt auf einer richtigen Wasserstrasse und entsprechend gross waren die Schiffe, denen wir begegneten oder die uns überholten.

  

Nach gut zwei Stunden machten wir erneut Halt: diesmal in Pont-à-Mousson. Auf der linken Flussseite, beim Eingang zum alten Kanal, der zu einer Schleuse und von dort zur regionalen Niederlassung der VNF führt, hatten wir einen bequemen Liegeplatz gefunden. Vollkommen im Grünen und trotzdem so nahe der Stadt, das war kaum zu überbieten.

  

Die Stadt selber verdient es, besucht zu werden. Und wir machten regen Gebrauch davon. Im Zentrum liegt der grosse, dreieckige Place Duroc, mit dem Hôtel de Ville und mehreren markanten Hausfassaden aus dem XVI bis zum XIX Jahrhundert. Duroc, Sohn der Stadt und ehemaliger Schüler der lokalen königlichen Militärakademie, verdiente sich im Laufe seiner Karriere das Vertrauen und die Wertschätzung von Napoleon I persönlich, der ihn dafür zum Grand Marschall und zum Grafen des Friaul beförderte. Die stolze Vater-Stadt ehrte ihn mit diesem Platz in ihrer Mitte.

Die mittelalterliche Stadt hatte sich lange gedulden müssen, bis sie durch die Gründung einer Universität am gegenüber liegenden, rechten Ufer der Mosel endlich die Bedeutung erlangte, die weit über die Region hinaus reichte. 1572 errichtete Papst Gregor VIII die Universität mit den vier Fakultäten Theologie, Kunst, Recht und Medizin. Durch die Jesuiten mit strenger Hand geführt, erwarb sich die Alma mater, die einzige Universität in Lothringen, rasch einen grossen Namen. Schon zu Beginn des 17. Jahrhunderts besuchten sie mehr als 2000 Studenten aus fast allen Ländern Europas! Als Stanislaus I, der letzte Herzog von Lothringen starb (siehe Juni 2021) und das Herzogtum an die Krone zurückfiel, musste die Universität auf Weisung des französischen Königs nach Nancy umziehen. Als Entschädigung erhielt die Stadt die oben erwähnte königliche Militärakademie. Das war wohl ein schlechtes Geschäft.
Die Hochschule hatte den ganzen Raum zwischen der Kirche St.Martin (rechts) und der Abtei (links) besetzt, am anderen Ende der Brücke, die der Stadt ihren Namen gegeben hatte. Den Raum, den heute das Lyceum einnimmt.

 Die Gemeinschaft der Prämontstratenser war ab 1600 nach Pont-à-Mousson gekommen, ihre barocke Abtei wurde zwischen 1705 und 1735 erbaut. Im 2. Weltkrieg war sie stark beschädigt worden, wurde danach aber grosszügig wieder aufgebaut und beherbergt heute ein Kulturzentrum und ein Hotel.

Im Innern der Kirche St.Martin kann man eine erstaunliche Skulptur der Grablegung Christi bestaunen, der von den Kunsthistorikern eine Entstehung zwischen 1400 und 1430 zugeschrieben wird. Für diesen Zeitraum weist das Werk allerdings eine erstaunliche Vielfalt und Detailtreue auf.

Kaum hatten wir unser Schiff an der lauschigen Anlegestelle festgemacht, war uns eine Schwanenmutter aufgefallen, die mit ihren vier Jungen unterwegs war. Zwei davon trugen noch ihr hellbraunes Federkleid, zwei präsentierten sich schon beinahe in weiss. Allerdings fehlte offensichtlich der männliche Partner. Dafür verhielt sich ein anderer grosser Schwan, der selber mit seiner Familie unterwegs war, auffällig aggressiv gegen die kleine Familie. Fast unablässig stellte er ihr nach, biss heftig nach der Mutter und drückte sie immer wieder für längere Zeit vollständig unter Wasser. Panisch tauchten die Jungen dann weg und lärmten beim Auftauchen erbärmlich. Der Fluchtweg flussaufwärts war den Bedrängten versperrt, weil dort ein anderer Schwan mit seiner Familie sein Bleiberecht verteidigte. Ganz offensichtlich war ein ernster Kampf ums Territorium entbrannt und die Gruppe ohne männlichen Beschützer war in dieser Umgebung chancenlos. Zu allem Überfluss war die Mutter, welche die Jungen führte, in der Mauser. Ihre Handschwingen fehlten vollständig. Sie konnte sich kaum wehren und schon gar nicht fliegen. Sie wirkte überfordert und zunehmend geschwächt.
Mehrfach beobachteten wir die rasch zunehmende Gewalt und fühlten Mitleid mit der gequälten Gruppe. Wir spürten ein Verlangen, helfend einzugreifen. Doch wurde uns bewusst, dass da ein erbarmungsloser Vorgang sich abspielte, der in der Natur normal und wahrscheinlich notwendig ist. Aber wir waren beim blossen Zuschauen überfordert.
Das Ende ist rasch erzählt: am dritten Tag fehlte die Mutter und auf dem Wasser schaukelten viele weisse Federn. Die vier Jungen irrten zunächst führungslos in der Gegend herum, laut nach ihrer Mutter rufend. Es regnete viel und heftig. Am Abend waren es nur noch drei und bis zum Ende des nächsten Tages waren auch diese verschwunden.
Dieses Erlebnis, das nur möglich war, weil wir lange mitten in der freien Natur verweilten, viel Zeit hatten und so praktisch dazu gehörten, führte zu längeren Diskussionen über unsere Wahrnehmung,  Rolle, Verantwortung und Moral. Existenzielle Fragen.

Ein weiterer Besuch galt dem Museum 'Au fil du Papier'. Es bietet einen ganz anderen Blick auf die Geschicke der Stadt. Nach 1870 begründete die Industriellen-Familie Adt aus dem Saarland eine ganz spezielle Industrie, der eine grosse Bedeutung zukam, weil sie hunderte von Angestellten beschäftigte. Dank ihrem Monopol zur alleinigen Verwendung von Papier maché ('gekochtes Papier') zur Herstellung von diversen Gegenständen, von Nippes bis zu ganzen Möbelkollektionen, errichteten sie in Pont-à-Mousson eine Fabrik und produzierten dort Kunst, Luxus oder 'Kitsch'. Kunst ist Geschmacksache, Luxus dient dem Ego, aber die Nachfrage war offensichtlich gross. Das Ganze nannte sich Articles en carton laqué und verkaufte sich gut.

     

Eine weit grössere Anlage hatten die Adts in Forbach (etwa 6 km südwestlich Saarbrücken) bereits in Betrieb, als diese Stadt während des Deutsch-Französischen Krieges von 1870 an Deutschland fiel. Weil von dem Moment an, der Export nach Frankreich nicht mehr möglich war, gründeten sie kurzerhand einen neuen, ebenbürtigen Betrieb in Pont-à-Mousson!
Und dieser war - aus heutiger Sicht erstaunlicherweise - ebenso erfolgreich!
(Und mit genau den gleichen rechtlichen Problemen schlägt sich die Europäische Union noch heute herum. Doch damals war Krieg!)


Fabrik Forbach (Wikipedia)

Nach fünf Tagen sind wir weitergefahren, diesmal während rund 5 Stunden, bis wir amont der 2. Schleuse von Metz eine geeignete Anlegestelle fanden. Nicht im Grünen zwar, aber immerhin nahe der Stadt. Mit der freundlichen Bewilligung der VNF machten wir hier fest, zunächst für ein Wochenende, aus dem dann allerdings - aus meteorologischen Gründen - mehr als eine ganze Woche wurde. Jedoch mehr davon etwas später.



Kurz vor unserer Ankunft (etwas südlich von Ars-sur-Moselle) waren wir an einem weit älteren Zeugen der Geschichte vorbeigekommen: Reste eines Römischen Aquädukts aus dem 2. Jh. n. Chr, der über einen Kilometer lang war und das Wasser über die Mosel geleitet hatte. Ein kleiner, aber eindrücklicher Teil einer 22 km langen Wasserleitung, welche die Stadt Metz mit frischem Wasser versorgte.

Am augenfälligsten in Metz ist wohl, wie in vielen anderen Städten auch, die Kathedrale. Hier ist es die Kathedrale Saint-Étienne (deutsch: Stephansdom). Das gothische Gebäude (erbaut von etwa 1220 bis 1520) gehört mit 41m, zusammen mit der Kathedrale von Amiens (siehe Juli 2018), zu den höchsten Gewölben in Frankreich und beeindruckt mit riesigen Glasfenstern von verschiedenen Künstlern.

Erstaunlicherweise scheint die Kathedrale keinen richtigen Turm zu haben, obschon sie deren zwei besitzt. Doch wurde 1877, anlässlich des Besuchs von Kaiser Wilhelm I, zu seinen Ehren ein Feuerwerk abgebrannt, wobei leider auch der Dachstock der Kirche Feuer fing. Das neue Dach wurde mit einem Winkel von 60º steiler gebaut als das alte und wurde damit entsprechend höher. Die beiden Türme, nur 45m hoch, versanken so in der Bedeutungslosigkeit.

     

Aber auch sonst kann sich die Stadt sehen lassen!
Nach dem langen Lockdown war das Leben offensichtlich in die Stadt zurückgekehrt. Viele Strassen waren von geöffneten Restaurants gesäumt, die grosszügig Tische und Stühle ins Freie geschafft hatten. Wie z.B. am Place Saint Louis, der zusätzlich mit schönen mittelalterlichen Fassaden, Lauben und Bogengängen punkten kann.

  

Natürlich hat auch die jüngere Geschichte deutliche Spuren hinterlassen, wie beim Bahnhof oder beim Temple Neuf.

  

Der Bahnhof von Metz wurde von 1905 bis 1908 vom Berliner Architekten Kröger im Wilhelminischen Stil erbaut. Dabei standen militärische Überlegungen im Vordergrund. Wirtschaftliche und verkehrstechnische waren offenbar zweitrangig. Der eindrucksvolle Bau ist ein klares Zeichen für den Zeitgeist, wie er zu jener Zeit östlich des Rheins gelebt wurde.

Temple Neuf: Nach der Annexion der Stadt Metz durch das Deutsche Reich (als Folge des Deutsch-Französischen Krieges) wurde mit der rasch wachsenden Gemeinde deutscher Staatsbürger auch das Verlangen nach einem evangelischen Gotteshaus immer stärker. Nach langem Suchen wurde die Spitze der kleinen Insel  'Jardin d'Amour' in der Mosel als geeignet beurteilt. Das grösste Hindernis war allerdings, dass für das Vorhaben etliche alte Bäume gefällt werden mussten, was zu lauten Protesten in der Bevölkerung führte. Das tönt aus unserer Sicht eigentlich recht modern. Durch ein persönliches Dekret von Kaiser Wilhelm I wurde jedoch der Bau an der markanten Lage beschlossen. So einfach ging das eben damals.

Eine eigenartige Mischung zwischen Sündenbock und Schutzpatron nimmt das Fabelwesen Graoully (Grauli) ein, das das um die Zeitenwende angebllich im römischen Amphitheater von Metz gewohnt haben soll. Es wurde vom ersten Bischof von Metz, dem für seine mutige Tat inzwischen heilig gesprochenen Bischof Clemens, der mit seiner Stola als Leine, das Unwesen aus der Stadt in die weitere Umgebung geführt hatte, wo es plötzlich in den Untergrund verschwand. Weil es so ganz offensichtlich durch die Kraft des Christentums besiegt worden war und sich seither friedlich verhalten hat, ging im Laufe der Zeit die Angst verloren und hat dem Gefühl Platz gemacht, dass im Grunde alles auch viel schlimmer sein könnte und man dem Bösen nur mit etwas mehr Gelassenheit begegnen müsse.
Auch ein taugliches Lebensmotto.

Kaum waren wir zwei Tage in Metz, begann es intensiv zu regnen. Nicht nur bei uns, sondern in allen umliegenden Ländern. Aus verschiedenen Orten erreichten uns immer mehr Schreckensmeldungen. Man berichtete von ernsthaften Überschwemmungen und Erdrutschen mit schwerwiegenden Folgen. Der ganze Monat war ohnehin schon viel zu regnerisch gewesen, so dass bei zusätzlichem Regen drastische Folgen kaum ausbleiben konnten. Die Pegel diverser Flüsse und Seen stiegen stetig und liessen böse Ahnungen aufkommen. Einer der Schwerpunkte lag auch über der Gegend der Mosel und wir mussten unsere Reisepläne einmal mehr anpassen. Gegen Ende der Woche wurde dann über die ganze französische Mosel ein 'Arrêt de Navigation' verfügt, was die vollständige Einstellung der Schifffahrt bedeutet. Auf exponierten Flüssen wie dem Doubs oder hier auf der Mosel, sind allerdings als Vorsichtsmassnahme für solche Situationen Teilstücke oder Häfen mit einer 'Porte de garde' abgegrenzt worden, die im Notfall geschlossen werden. An diese Orte können sich die Schiffe rechtzeitig zurückziehen und dort gefahrlos bessere Bedingungen abwarten. Der Zufall hatte es gewollt, dass wir uns ausgerechnet in einem solchen Abschnitt befanden und darum nichts zu befürchten hatten. Wir mussten lediglich mit etwas Geduld den richtigen Moment für die Weiterreise abwarten. Im engen Austausch mit dem hiesigen Schleusenwärter besprachen wir täglich die Lage und waren ansonsten guter Dinge. So ziemlich übergangslos kam dann das richtige Sommerwetter wieder zurück. Die Flüsse brauchten allerdings noch einige Tage, bis sie wieder ohne grosses Risiko befahren werden konnten.

Unsere nächste Etappe führte uns nach Thionville, wo wir erneut oberhalb der Schleuse einen komfortablen Liegeplatz fanden.

Hier mussten wir uns über den weiteren Verlauf unserer Reise klar werden. Ganz am Anfang war es ja unsere Idee gewesen, auf der Mosel in Deutschland hinunter bis Koblenz zu fahren. Das Studium der Karten und verschiedene Reiseberichte anderer Wassernomaden hatten uns allerdings klar gemacht, dass auf dieser Strecke für Schiffe wie unsere Mizar fast keine Liegeplätze zu finden sind. Anlegestellen, die für Schiffe dieser Grösse und weit grössere geeignet sind, bleiben in erster Linie für die vielen Fahrgastschiffe reserviert, die hunderte von Touristen transportieren. Normale Häfen für Freizeitschiffe sind, wie in Deutschand üblich, für Schiffe bis maximal 15m ausgelegt. Zunächst hatten wir gehofft, dass eventuell in der Zeit vor den Sommerferien etwas mehr Spielraum möglich wäre. Da hatte Corona am Anfang der Saison unsere Abreise um mehrere Wochen verzögert. Die schweren Unwetter und die damit verbundenen Hochwasser hatten nun auch die letzten Hoffnungen zunichte gemacht. Verschiedene Städte entlang der Mosel meldeten Wasserstände, die bis zu 6 m über dem Normalpegel lagen. Damit war klar, dass für uns an eine Weiterfahrt auf der Mosel über die Saarmündung hinaus nicht zu denken war. In Thionville haben wir darum einen Kleinwagen gemietet, mit dem wir wenigstens einen Teil des unteren Moseltales erkunden wollten.

Der Rest dieses Monatsberichtes erzählt also stark verkürzt von unserer (ungeplanten) Fahrt mit dem Auto, während der unsere Mizar geduldig in Thionville auf uns gewartet hatte.

Von Thionville war es nur ein Katzensprung bis zur Deutsch-Luxemburgischen Grenze beim Dorf Schengen, das durch den Vertrag der damaligen EU-Partner europäische Bedeutung erlangt hat (Schengener Abkommen von 1985 zum freien Personenverkehr). Der Vertrag wurde übrigens an Bord der 'Princesse Marie-Astrid' am hiesigen Quai unterzeichnet. Von hier aus fuhren wir gemütlich der Mosel entlang durch eine Landschaft, die, überwiegend geprägt durch den Weinbau, zunächst mal einen sauberen, gepflegt gemütlichen Eindruck macht. Fast ohne es zu merken, kamen wir so nach Bernkastel-Kues.

Beeindruckend durch seine kaum zu überbietende Gemütlichkeit, welche die gepflegten Riegelbauten vermitteln, machten wir dort den ersten Tageshalt. Hatten wir uns bis hierher bereits leidlich an die allgegenwärtigen, verlockenden Angebote zur Weindegustation mit währschaftem Imbiss gewöhnt, waren hier die entsprechenden Angebote schlicht überwältigend. So viel Hunger und Durst, die zu stillen, das Angebot hier versprach, kann man gar nicht haben. Aber wir haben uns tapfer gehalten.

  

Am nächsten Tag ging es im gleichen Stil weiter, bis wir in Bremm an der wohl bekanntesten der unzähligen Schlaufen der Mosel vorbeikamen. Wir kletterten ein gutes Stück den Weinberg hinauf, bis wir uns einen befriedigenden Überblick verschaffen konnten.

Etwas ermüdet von den vielen Eindrücken eines langen Tages, waren wir froh, als wir in Cochem in einem kleinen Hotel, aber fast in der Stadtmitte gelegen, eine Unterkunft für die Nacht gefunden hatten. Die Stadt war proppenvoll mit Touristen, vorwiegend aus Deutschland, aber auch zahlreich aus Belgien und Holland. Etwas mühsam war, dass man sich überall wegen Corona kompliziert einschreiben musste, weil wir die die entsprechende App nicht zur Verfügung hatten. Für jeden Kaffee und jedes Glas. Auch unter freiem Himmel! Wir versuchten uns vorzustellen, was wohl mit all dem Papierkram geschehen wird, fast unabhängig davon, ob sich wirklich etwas aussergewöhnliches ergäbe oder nicht.

Ein absolutes Muss war für uns der Besuch auf der Burg Eltz, mit der Ruine der Trutz Eltz gleich daneben. In einem abgeschiedenen Seitental gelegen, in wunderbar erhaltener Landschaft, geniesst hier jeden Tag eine bunte Touristenschar in wohlorganisierter Form die 750-jährige Familiengeschichte der Familien von Eltz, die Schilderung des Streites zwischen ihren drei Söhnen und vom Neid des Erzbischofs Balduin von Trier, dem der Erfolg der Familie derart in die Nase gestochen war, dass er nur gut 200 m weiter weg die Burg Trutz Eltz erbaute, von der aus er die Platzhirsche bekämpfen konnte. Was er auch nach Kräften tat. Allerdings erfolglos.

Am nächsten Tag hatten wir einen Ausflug nach der Geierlay geplant, der allerdings dem schlechten Wetter zum Opfer fiel. Die Geierlay ist eine 360m lange und 100m hohe Hängebrücke im Hunsrück. Sie war auf private Initiative mit dem einzigen Zweck gebaut worden, damit einem darbenden Dorf zu etwas mehr Bekanntheit zu verhelfen. Der Erfolg war derart überwältigend, dass die armen Leute heute schon fast wieder darunter leiden.
Weil es unaufhörlich und ausgiebig regnete, sind wir unverrichteter Dinge weitergefahren nach Zell (an der Mosel). Zell ist berühmt für seinen Wein, der angeblich wegen seiner aussergewöhnlichen Qualität einst von einer schwarzen Katze heftigst gegen allzu durstige Soldaten verteidigt worden war. Diese mussten sich dann mit den weniger gesegneten übrigen Keltereiprodukten begnügen.

Auch in Zell hatten wir uns in einem unscheinbaren Hotel einquartiert. Vor dem Haus haben wir uns am späteren Nachmittag unter dem schützenden Schirm mit einem Glas Wein gemütlich eigerichtet, dem Treiben auf der Strasse und am Ufer der Mosel zugeschaut. Während der vorangegangenen Tage hatten wir an verschiedenen Stellen etwas erstaunt beobachtet, dass entlang des Flusses die Ufer und die Strassen weiträumig verschmutzt und mit viel Unrat, Ästen und gar Baumstämmen übersät waren. Hier, bei einem Rundgang in Zell waren wir zuvor Leuten begegnet, die mit Aufräumarbeiten beschäftigt waren, leergeräumte Ladenlokale wieder einräumten oder Keller auspumpten. Eher beiläufig hatte sich ein etwas behäbiger Herr uns zugesellt, der offensichtlich mit Sachverstand unsere Entdeckungen kommentierte. Er war, wie sich bald herausstellte, der Besitzer des Hotels und zeigte uns so nebenbei an der Fassade, wie hoch das Wasser hier vor einer Woche gestanden hatte. Er legte dabei seinen Finger an eine Stelle, die nur ganz knapp unter der Decke des Erdgeschosses lag! Wir waren darum verwundert, wie sauber hier jetzt alles aussah, im Vergleich zu dem, was wir unterwegs gesehen hatten. Er reagierte gelassen: ein-, zweimal Hochwasser im Jahr, vielleicht nicht ganz so hoch, das sei normal. Normalerweise zur Zeit der Schneeschmelze. Aber im Sommer, wie diesmal, das habe er noch nie gesehen.
Das weitere Gespräch eröffnete uns nach und nach eine andere Welt. Der Herr gehörte offenbar einer der ältesten Winzerfamilien in Zell an, die über viele Generationen ihre Weingüter offensichtlich mit viel Erfolg betrieben hatten. Mehrere der umliegenden Häuser gehörten ihm. Er, jetzt knapp vor dem Rentenalter stehend, bemerkte einmal ganz ruhig, dass er sein Leben lang noch nie in den Ferien gewesen sei und immer gearbeitet habe. Er sagte das nicht mit Wehmut, sondern war zufrieden, gelassen und spürbar stolz. Er baut selber die Rebberge an, die er von seinem Vater übernommen hatte, pflegt sie während des Jahres und keltert seinen Wein selber. Mit Respekt lagert er Flaschen ab Jahrgang 1870 und verkauft heute noch Weine ab Jahrgang 1917. Alles Produkte seiner Vorfahren. Während des Krieges hatte die Partei den Namen 'Schwarze Katz' von seinem Gut genommen und auf das ganze Gemeindegebiet ausgedehnt. Die hatten das Sagen und wussten offensichtlich auch, was sich gut verkauft. Und sie füllten nur zu gerne ihre eigenen Kassen.

Natürlich hat all der Erfolg auch seine Schattenseiten. Alles wirkt äusserst geschäftstüchtig. Schon in den letzten Tagen war uns aufgefallen, dass pünktlich um 07.00 der Helikopter startete, die Reben an den Steillagen zu sprühen. Auch wenn von Gesetzes wegen die flacheren Gebiete vom Boden aus besprüht werden müssen, spritzt der Heli noch immer viel und grosszügig. Und obschon die Touristen der Gegend viel Geld einbringen, wird es in den schmalen Gassen gelegentlich etwas eng. Manchmal fast etwas zu viel des Guten im ganzen Moseltal.

Auf dem Rückweg machten wir Halt in Trier, der ältesten Stadt Deutschlands. Das ist gut nachzuvollziehen, hatten doch die Römer bereits ums Jahr 170 n.Ch. die 'Porta Nigra' als nördliches Stadttor zu ihrem Augusta Trevorum erbaut. Seinen heutigen Namen hat das Tor erst viel später erhalten, weil der verwendete Sandstein mit dem Alter eine dunkle Farbe angenommen hatte. Die Römer haben daneben aber auch Spuren anderer Einrichtungen hinterlassen, die Zeugen eines komfortablen Lebens sind, wie das Amphitheater und mehrere Thermen.

Auch hier ist die Altstadt reich an schönen Fassaden, doch drückt die neue Zeit schon wesentlich deutlicher durch.

Wichtig ist bestimmt auch der Dom, als ältester Bischofssitz in Deutschland und - gleich daneben - die Liebfrauenkirche.

Zwischen den beiden Kirchen liegt ein prächtiger Kreuzgang mit dem Friedhof der mächtigen Bischöfe der Stadtgeschichte. Über der Krypta wölbt sich ein detailreiches Relief, das uns selbst bei längerer Betrachtung nicht alle seine Geheimnisse offenbaren wollte.

  

Auf der Rückfahrt nach Thionville kamen wir erneut unter der Hochmoselbrücke durch. Eine Autobahnbrücke, die erst im November 2019 dem Verkehr übergeben worden war. Sie hatte uns schon bei der Hinfahrt grossen Eindruck gemacht. Auf einer Höhe von 158 m überspannt sie die Mosel und wird von zehn schlanken Stahlbetonpfeilern gestützt, von denen der höchste 150 m hoch ist. Die Brücke ist 1.7 km lang und die längste Spannweite zwischen den Pfeilern beträgt 209 m. Eleganter geht es kaum mehr!

Unsere Mizar fanden wir wohlbehalten in Thionville wieder und am Tag darauf machten wir uns auf die Weiterreise. Zunächst die Mosel runter bis Konz, dort rechtsab, über Steuerbord, die Saar hinauf.
Darüber mehr im nächsten Monatsbericht.

 

Monat Juli 2021:
11 h 05'
- 6 Schleusen
- 2 Brücken
- 69 km

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