Juni 2022 

Wie wir im letzten Monatbericht bereits erwähnt haben, war der Monat noch nicht ganz um, als wir Verdun verliessen und Richtung Norden weiter fuhren. Trotzdem haben wir unseren Beitrag zum Monat Mai an jenem Tag abgeschlossen.
Am 28. Mai starteten wir den Motor für eine neue Fahrt, deren erster Teil wir allerdings im Mai 2010 (siehe dort für mehr Details!) schon einmal unternommen hatten. Wir fuhren weiter auf der Meuse (Deutsch: Maas) zu Tal, über weite Strecken auf dem offenen Fluss, der allerdings zur Schiffbarmachung in Teilstücken hatte kanalisiert werden müssen. Dabei kamen wir immer wieder durch wunderschöne Landschaften, die uns durch ihre Weite und Vielfalt beeindruckten. Fast grenzenlose Felder, oft hin bis zum Horizont, wurden regelmässig durch Bäche und Seen, aber auch Baumgruppen und grössere Wälder aufgelockert. Besonders auffällig waren immer wieder einzelne alte, riesige Bäume. Denen hatte man genügend Zeit gelassen, alt zu werden. Der fortgeschrittene Frühling tat das Seine und malte alles in frischem Grün und in den unterschiedlichsten Schattierungen.

Als wir die kleine Bänderschnecke (Titelbild) auf unserem Gangway fanden, haben wir gleich bemerkt, dass sie - genau wie wir - ganz langsam mit ihrem eigenen Haus unterwegs war und wahrscheinlich kaum besser wusste als wir, wo die Reise letztlich enden würde. Weit wäre sie aber auf unserem Schiff sicher nicht gekommen. Darum haben wir für sie einen schönen Platz in der freien Natur ausgesucht, der ihr hoffentlich denkbar gute Möglichkeiten für ein langes, glückliches Leben bot.

  

Wir nahmen es weiterhin so gemütlich, wie es die Schnecke uns vorgemacht hatte und legten zunächst in Consenvoye an. Und am Tag darauf in Dun sur Meuse.  Am dritten Tag fuhren wir weiter nach Stenay. Dort hatten wir uns vor zwölf Jahren mit lokalen Süssigkeiten eingedeckt. Diesmal verzichteten wir auf die Crottes de Diable, die wir damals wegen ihres anrüchigen Namens gekauft hatten. Wir leisteten uns aber erneut eine Portion 'Pflastersteine von Stenay'. Ein Beweis dafür, dass sie wirklich gut waren, weil unsere positive Erinnerung sonst bestimmt nicht so lange Zeit überdauert hätte.

     

Den Monat Mai verabschiedeten wir bei der Schleuse 34 l'Alma, wo wir hinter der Piper Calliope von Lesley und Stewart angelegt hatten. Dass wir durch die uns bislang unbekannten Briten nach kürzester Zeit Grüsse ausgerichtet bekamen von der l'Éscapade, neben der wir während des letzten Winters in Strassburg gelegen hatten, zeigt, dass die Kontakte unter den Flussnomaden selbst auf grosse Distanz lebendig bleiben.
Auf der ganzen Strecke mussten wir uns daran gewöhnen und zuletzt schien es beinahe normal, dass Kanal und Schleusen kaum mehr gepflegt werden. Über weite Strecken waren die Kanäle voller Unkraut und umgestürzte Bäume lagen oft in der Fahrrinne. Meistens war es offensichtlich, dass sie nicht erst seit wenigen Tagen so dagelegen hatten. Selbst die Hinweistafeln am Flussufer, welche die Bedeutung von Verkehrszeichen haben, waren gelegentlich derart von Gestrüpp überwuchert, dass sie kaum mehr zu erkennen waren. Schwemmgut, das sich über Monate angesammelt hatte, verkeilte sich immer wieder in den Schleusentoren und blockierte diese. Mindestens drei Mal mussten wir auch auf dieser Strecke die Angestellten der VNF aufbieten, die Schleusen, welche eigentlich automatisch hätten funktionieren sollen, von Hand zu deblockieren.

Am nächsten Tag, dem 1. Juni, konnten wir in Sedan nicht anlegen, weil die Wassertiefe an beiden Anlegestellen weniger als einen Meter betrug. Offenbar hatte sich im Laufe der Zeit Sediment angesammelt, das eben einmal hätte ausgebaggert werden sollen. Dafür sichteten wir bei der Schleuse 37, mitten in der Stadt, eine muntere Sumpfschildkröte, deren Panzer sicher 20 cm mass. Für einmal eine sehr erfreuliche Überraschung unter dem, was normalerweise so auf dem Wasser daherkommt.

Aber auch die Weiterfahrt nach Lumes, unserer neuen Endstation an diesem Tag, war voller schöner Eindrücke, obschon die Tagesetappe mit 44km und acht Stunden Fahrzeit für unseren Geschmack an der obersten Grenze lag.

     

Als Entschädigung könnte man es bezeichnen, dass die Weiterfahrt nach Charleville-Mézières am folgenden Morgen mit lediglich neun Kilometern und zwei Schleusen ferienmässig kurz war.
Dort legten wir hinter der Vrijheid von Nadia und Christian an. Die zwei sind sonst in St.Jean-de-Losne zu Hause und wir kennen sie von dort schon seit vielen Jahren. Am Tag darauf kamen auch Camille und Stefan, die wir im letzten Monat in Saint-Mihiel getroffen hatten, mit ihrer De Silveren Welt an und machten, da der Ponton voll besetzt war, zunächst an unserer Aussenseite fest. Wir waren froh, dass wir uns so für ihre Gastfreundschaft revanchieren konnten, als wir bei unserem letzten Zusammentreffen keinen Platz am Ponton mehr gefunden hatten.

Charleville-Mézières hat seinen etwas sperrigen Namen erst 1965 durch die Fusion der beiden Städte und ihren sechs umliegenden Gemeinden bekommen. Mézières war bereits im Mittelalter eine Stadt, die an einer Römerstrasse erbaut worden war und offenbar schon damals gut gelebt hatte vom lebhaften Handel auf der Meuse zwischen Flandern, der Champagne und dem Burgund. Ihren vor allem mit dem Schiffsverkehr erworbenen Reichtum schützte sie bereits ab dem 13. Jh mit beeindruckenden Stadtmauern. Charleville dagegen wurde erst im Jahre 1606, während der Renaissance, gegründet. Diese Stadt hatte die einzige Aufgabe, durch ihre moderne Gestaltung die Macht und die Bedeutung des jungen Grafen zu widerspiegeln. Ihr Herz ist der quadratische  Place Ducale in ihrer Mitte.
(Gut sichtbar in der Flugaufnahme.)

     

Am nächsten Tag hatte sich der Andrang am Ponton bereits gelichtet und nun gab es genügend Platz für alle.

Mit einem erfreulichen Besuch, wenn auch mit leicht durchschaubaren Absichten (Futter!), erfreute uns diese fürsorgliche Schwanenmutter.

In der Stadt fand am Wochenende über Pfingsten, übrigens genau wie bei unserem Besuch im Mai vor zwölf Jahren, das jährliche Bierfestival statt. Der Anlass belegte den ganzen Place Ducale und der Andrang der Besucher war derart gross, dass, wer aufs Festgelände wollte, eine Wartezeit von rund zwei Stunden in Kauf nehmen musste.

 

Wir begnügten uns mit einem schönen Platz ausserhalb, wo das Essen gut war und das Bier auch fein schmeckte.

Eine weitere Entdeckung, wir sind ja nicht erst seit gestern an feinen Sachen interessiert, war für uns der 'Carolo de Charleville-Mézières', der unsere Herzen gleich im ersten Anlauf erobert hat.
Für Eingeweihte: er schmeckt ähnlich wie ein Solothurner-Kuchen, nur viel aromatischer und besser! Quasi Solothurnerkuchen 2.0!
Und es gibt ihn auch in gross!

Weil wir an diesem Ort anlässlich unserer Reise im Jahr 2010 das Schiff gewendet hatten, wurde die nun folgende Strecke für uns zu einer vollkommen neuen Erfahrung.
Auf der Meuse fuhren wir also weiter durch die Ardennen. Ein Begriff, der unterschiedlichste Erinnerungen zu wecken vermag. Für uns war die Fahrt aber erneut eine Reise zurück in der Zeit und das auf ganz unterschiedliche Arten.


Die Landschaft wird geprägt durch sanft gewellte, zumeist bewaldete Hügel, die immer wieder von schroffen Felswänden unterbrochen werden. Diese Felsen bestehen aus Tonschiefer und sie liefern auf einfache Weise bestes Material für das Baugewerbe. Überall fanden wir daher die typischen Mauern, gebaut aus Steinen, die buchstäblich vor dem Haus gewachsen waren.
Allerdings ist das schon einige Zeit her, stammen sie doch aus den Epochen der Devon- und der Karbonperiode der Erdgeschichte. Das heisst vor rund 400 Mio Jahren. Sie sind damit deutlich älter als zB die Alpen und der Jura, deren Gestein erst vor etwa 200 Mio Jahren gebildet wurde.
Erdgeschichtlich gehören die Ardennen, zusammen mit der Eifel und dem Hunsrück in Deutschland, zum Rheinischen Schiefergebirge, das wir im Juli 2021 besucht hatten (siehe dort!)

     

Für eine ganz andere Erinnerung sorgte die viel jüngere Geschichte des zweiten Weltkrieges.
Am 16. Dezember 1944 wollten die Hitler-Truppen mit der gross angelegten Ardennenoffensive, den Nachschub für die stetig vorrückenden alliierten Truppen unterbinden. Zu diesem Zweck versuchten sie, den Hafen von Antwerpen einzunehmen, denn in diesem wurde der Grossteil des Nachschubs aus den USA angelandet. Der Vorstoss fand allerdings rund drei Wochen später, ausgerechnet an der Maas, wegen Nachschubproblemen der deutschen Truppen ein vorzeitiges Ende. Bis dahin hatte er jedoch bereits rund 100'000 Tote auf jeder Seite gefordert. Der Kraftakt der Alliierten gelang in erster Linie Dank des heute unvorstellbar grossen Einsatzes der amerikanischen Armee.
Dass uns dieser Zusammenhang ganz besonders unter die Haut ging, hing sicher auch mit dem gegenwärtigen Krieg in der Ukraine zusammen, der militärisch gesehen gar nicht so unterschiedlich gelagert ist.

Während die Landschaft immer schön war, mussten wir uns in Sachen Wetter mit einigen trüben Tagen abfinden. Doch auch bei Regen war die Reise durchaus angenehm.

     

So übernachteten wir, wie geplant, in Château-Regnault, trotz der Tatsache, dass uns die Fernsteuerung für die Schleusen während der Fahrt einen Streich gespielt hatte. Nachdem auch der gefühlt 50ste Versuch keinen Erfolg gebracht hatte, mussten wir die Zentrale in Givet anrufen, dass man uns einen Schleusenwärter schicken möge. Doch weiteres, unermüdliches Versuchen brachte letztlich doch noch Erfolg: nach fast einer Stunde Warten konnten wir ohne jede fremde Hilfe durch die Schleuse fahren.
Diese Vorwarnung hätte uns eine Lehre sein können, doch hatten wir offensichtlich die Gelegenheit dazu verpasst. Am folgenden Tag verweigerte das Ding bei der Schleuse 46 endgültig seinen Dienst. Einmal mehr bemühten wir einen Schleusenwärter, der uns nach einer weiteren Stunde ein Ersatzgerät besorgte. So erreichten wir unser Etappenziel  Laifour eben etwas später.
Ein kurzer Rundgang durch das Dorf zeigte uns ein Bild, an das wir uns in den vorangegangenen Tagen schon beinahe gewöhnt hatten. Eigentlich hätte es im recht kompakten Dorfkern noch mehrere schöne alte Häuser gegeben, die waren aber alle weitgehend zerfallen und standen darum leer. Entsprechend waren auch die beiden Ladengeschäfte zum Verkauf ausgeschrieben. Das Dorf strömte beinahe Totenruhe aus. Immerhin kam gegen Abend ein freundlicher und hilfsbereiter Chef der Capitainerie und kassierte die Hafengebühr.

Am nächsten Tag fuhren wir weiter nach Fumay, wo wir an einem langen Quai Platz fanden.

Weil der Tag noch lang genug war, nahmen wir wieder einmal unsere Drahtesel vom Schiff und machten eine kleine Entdeckungsfahrt durch die kleine Stadt. Ein netter Herr, bemüht seinen Wohnort von möglichst guter Seite zu zeigen, verwies uns zum nahen Rocher d'Uf, von wo er selber auch immer wieder gerne die Aussicht auf die Stadt geniesse. Die Aussicht vom schroffen Felsen, vor dem das Gelände etwa 70m senkrecht abfällt, war tatsächlich schön. Etwas nachdenklich stimmten uns allerdings die sorgfältig arrangierten drei Blumensträusse, die, immer noch verpackt, wohl an irgend etwas erinnern wollten. Wäre es eine Hochzeit gewesen, hätten die Leute sie sicher als Andenken mitgenommen.

In Vireux-Wallerand, unserem nächsten Halt, waren wir nicht einmal mehr überrascht, dass in der an sich gefälligen Stadt sehr viele Häuser und Geschäfte leer standen und wohl günstig zu kaufen waren. Auch hier kaum Leben in der Stadt.
Einzig im Château de Wallerand am nördlichen Stadtrand (links im Bild mit der Jahrzahl 1714) herrschte eine ganz andere Stimmung. Im Garten warteten weiss gedeckte Tische auf Gäste, die über den Mittag auch zahlreich kamen. Im Inneren waren die Tische gar festlich elegant hergerichtet und die Karte zeugte von einer gepflegten Küche. Trotz der deutlich angehobenen Preise haben wir uns dazu entschlossen, unseren Abschied aus Frankreich, wo wir jetzt vier Jahre verbracht hatten, um einen oder zwei Tage verfrüht zu feiern. Wir liessen uns in wirklich gepflegtem Rahmen kulinarisch verwöhnen, auf eine Art, wie es bei uns nicht alle Tage vorkommt. Man sagt doch, man solle Feste feiern, wie sie fallen!

Eine besondere Knacknuss stand uns für den nächsten Tag ins Haus. Vorbereitet durch gründliche Lektüre der Karten und noch mehr durch verschiedene negative Berichte anderer Schiffsbesatzungen, schauten wir der Passage durch den Tunnel de Ham mit etwas gemischten Gefühlen entgegen. Der Tunnel ist zwar nur 500m lang, sein Profil aber bis auf eine Breite von 5m nur 3.10m hoch. Das Dach unseres Steuerhauses liegt aber 3.30m über dem Wasserspiegel. Dazu ist der Tunnel ohne jede Beleuchtung und seine Wände sind so grob behauen, dass zahlreiche felsige Vorsprünge in das Profil hineinragen. Weil wir Schwierigkeiten möglichst umgehen wollten, liessen wir das Wasser im Tunnel um 50cm absenken. Das war möglich, weil der Tunnel an beiden Enden mit einer Schleuse abgegrenzt ist. Wir montierten auch unseren Scheinwerfer, der für eine gute Beleuchtung hätte sorgen sollen.
Hätte ..., weil beim Einschalten, rund 20m vor dem Tunneleingang, quittierte die Glühlampe, die zuvor den Test problemlos bestanden hatte, ihren Dienst!
Matz hatte also keine Wahl und musste ohne Beleuchtung in den Tunnel einfahren. Einzig mit einer Handlampe konnten wir uns zur Not behelfen. Fast eine halbe Stunde brauchten wir so für die Durchfahrt und wir waren froh, dass alles ohne jeden Schaden abging.

Kurz vor Mittag legten wir in Givet an. Zunächst benötigten wir nach der Aufregung dringend etwas Ruhe. Dann kam der obligate Rundgang durch die Stadt, der zwar etwas besser als die zuvor geschilderten Besuche ausfiel, aber der Eindruck blieb im Wesentlichen der selbe. Obschon es Sonntag war und erst noch der erste Wahlgang für das nationale Parlament anstand, herrschte fast überall gähnende Leere. Nicht das beste Zeichen für Parlamentswahlen! Einzig im voll besetzten Strassenrestaurant vor der Mairie zwitscherten während des ganzen Tages die Vögel unablässig und auffällig laut, allerdings aus einem Lautsprecher, als müssten sie fröhliche Stimmung herzaubern.

Wir erholten uns gründlich mit einem weiteren Ruhetag und fuhren erst dann weiter. Nach knapp zwei Kilometern kamen wir am Handelshafen von Givet vorbei. Von nun an mussten wir also wieder mit grossen Schiffen von bis zu 1350 Tonnen und grundsätzlich mehr Verkehr rechnen. Dafür waren die Schleusen entsprechend grösser und breiter. Unmittelbar nach der ersten passierten wir die Grenze zu Belgien.

Unser erster Stopp in Belgien war in Waulsort. Wir legten an einem langen Ponton am rechten Flussufer an und weil es in der Nähe keine Brücke gibt, offerierte der Hafenmeister während des Tages jederzeit freien Transport über den Fluss per Seilfähre. Dazu zog er den Kahn an einem Drahtseil mit Muskelkraft zum anderen Ufer und wieder zurück. Angeblich die einzige von Hand betriebene Fähre in Belgien. Diese Verbindung wurde bereits im Jahr 1871 aufgenommen und blieb wohl so lange bestehen, weil damit später auch Leute von der anderen Flussseite die Möglichkeit hatten, in Waulsort den Zug nach Dinant zu erreichen. Ein paar hundert Meter den Fluss hinunter liegt die Benediktiner-Abtei Waulsort, die 946 von Irischen Mönchen gegründet worden war. Irische Mönche, die sich die Christianisierung des Kontinents zum Ziel genommen hatten.

      

Schon bei der Ankunft waren uns die mächtigen Häuserkomplexe gegenüber unserem Liegeplatz aufgefallen. Weil sie nach unserem Empfinden einfach nicht so recht zu dem bescheidenen Städtchen passen wollten, haben wir uns dort etwas umgesehen. Verschiedene gut gestaltete Informationstafeln machten deutlich, dass die Bewohner stolz auf ihr Zuhause sind und das auch gerne zeigen wollen.
Die etwas ungewöhnliche Geschichte hat 1876 damit angefangen, dass sich der damalige Fährmann (!) Ferdinand Martinot eine kleine Herberge gebaut hatte. Dabei bewies er offensichtlich so viel Geschick, dass diese schon bald deutlich vergrössert werden musste und fortan als 'Grand Hôtel Martinot' bezeichnet wurde. Seine illusteren Gäste, vor allem Künstler und Schriftsteller, verhalfen dem Ort rasch zu so grosser Bekanntheit, dass bereits 1891 ein weiteres Hotel, das 'Grand Hôtel de la Meuse', gebaut werden musste. Später folgten noch das 'Grand Hôtel de Waulsort' und das 'Hôtel Moderne'. In den 1920er Jahren gesellten sich noch das ''Hôtel Belle-Rive' und das 'Hôtel Belle-Vue' dazu. 1934 zählte man in dem kleine Ort 11 Hotels, 10 Cafés, 12 Ladengeschäfte und 12 Kunsthandlungen! Leider droht heute einem der markanten Häuser aus jener Zeit, bei dem auf den Balkonen allerdings schon Bäume wachsen, der baldige Abriss.

  

Weil der Ort über lange Zeit Reiche und Schöne anzog, von denen manche gar aus Brüssel anreisten, wurde eine Eisenbahn gebaut. An diese erinnern heute noch der kleine Bahnhof und ein Teil des Geleises, das verlassen auf seiner überwachsenen Trassee liegt. Einige der treueren Gäste hatten sich später ihr eigenes Haus gebaut, so dass heute mehrere herrschaftliche Liegenschaften das 'Stadtbild' prägen. Selbst die bescheideneren Häuser werden immer noch mit Liebe gepflegt, genau wie das kulturelle Leben, das am Anfang der Entwicklung gestanden hatte. Eine Geschichtes, wie wir sie an diesem sonst so unscheinbaren Ort nicht erwartet hätten.

     

Die Weiterfahrt war wiederum geprägt von der Meuse, die behäbig zwischen den bewaldeten Hügeln und auffälligen Schieferfelsen hindurchfliesst, sowie verschiedene schöne Liegenschaften, deren Bewohnern es offensichtlich in der schönen Landschaft gefällt.

     

Kaum zwei Stunden brauchten wir zur Weiterfahrt nach Dinant. Über der Stadt trohnt, bereits von Weitem sichtbar, eine gewaltige Zitadelle. Es waren offensichtlich sehr kriegerische Zeiten, in denen sich die Städte häufig gegen fremde Armeen verteidigen mussten. Beinahe jede Stadt versuchte darum, sich mit einer Ringmauer oder einer Festung zu schützen. Die Festung bauten sie zumeist auf einem strategisch günstig gelegenen Hügel in unmittelbarer Nähe, von dem aus Zufahrtsstrassen und Brücken der Stadt einsehbar und notfalls mit Kanonen leicht zu verteidigen waren. Die vielen Stadtmauern und Schanzen waren dagegen meistens eine wahre Spielwiese für den rührigen Herrn Vauban. Er hinterliess fast überall seine Spuren.

Der Aufstieg zu der Festung von Dinant war für uns ein Muss! Und die Aussicht von oben war grossartig. Wie man sieht (mittleres Bild!), dauert der Aufstieg zu Fuss, über genau 408 Stufen, ein wenig länger als die Fahrt mit der Schwebebahn, die übrigens in der Eintrittsgebühr inbegriffen ist.

     

Der Besuch der Zitadelle gab uns auch einen vertieften Einblick in die Geschichte der Stadt und machte uns sogar auf einen unerwarteten Zusammenhang mit der Schweizer Geschichte aufmerksam. Die Festung, wie sie heute dasteht, wurde zwar erst nach der Schlacht von Waterloo um 1820 durch die niederländische Armee erbaut, weil zu jener Zeit die heutigen Gebiete von Belgien und Holland zu einem einzigen Staat zusammengelegt worden waren. Vor dieser Zeit waren aber seit dem 11.Jh an der selben Stelle mehrere Festungen erbaut worden, die Dinant hätten verteidigen sollen, aber wohl vor allem dem Schutz der damals herrschenden Familien dienten. Im Laufe der Zeit sind sie aber alle durch kriegerische Ereignisse zerstört worden.

     

1466 wurde Dinant durch den Burgundischen Herzog Karl den Kühnen belagert, bombardiert und niedergebrannt. Als Strafe für ihre tapfere Gegenwehr hatte der für seine Grausamkeit berüchtigte Herzog danach 800 Bewohner der Stadt jeweils zu zweien zusammenbinden und in die Maas werfen lassen. Um die ganze Gegend nachhaltig zu bestrafen, liess er zusätzlich die Äcker mit Salz und Eisen bestreuen, damit sie auf Dauer unfruchtbar blieben. Dieses brutale Verhalten brachte ihm aber auf Dauer kein Glück. Denn zehn Jahre später hat er sich mit den zu dieser Zeit sehr wehrhaften und entschlossenen Schweizern angelegt und wollte mit einem Feldzug in die Eidgenossenschaft, welcher als Burgunderkrieg in die Geschichtsbücher eingegangen ist, das widerspenstige Völklein unterwerfen. Die beiden Schlachten gegen die Eidgenossen im Jahr 1476  bei Grandson und bei Murten verlor er so gründlich wie unerwartet. Bei der ersten musste er seinen ganzen Kriegsschatz zurücklassen, bei der zweiten wurde er derart vernichtend geschlagen, dass sein Hochmut, für den er berühmt geworden war, auf dem Feld liegen blieb. Nur ein Jahr später fand er bei einer dritten Schlacht, diesmal gegen ein eidgenössisch- lothringisches Heer, bei Nancy den Tod.
Auf dieser Geschichte begründet sich das geflügelte Wort: bei Grandson verlor er das Gut, bei Murten den Mut und bei Nancy das Blut.

Erst nach dem Tode von Karl dem Kühnen konnte Dinant wieder aufgebaut werden. Am 23. August 1914 musste allerdings die Stadt beim Massaker von Dinant noch einmal ein ähnliches Schicksal hinnehmen. Und wiederum dreissig Jahre später, im Dezember 1944, erlebte sie erneut schwere Tage während der Ardennenoffensive 'Wacht am Rhein'.

Es ist betrüblich, dass offensichtlich bis zum heutigen Tag niemand etwas dazugelernt hat!
Aber es bleibt zu hoffen, dem brutalen und rücksichtslosen Aggressor der heutigen Zeit möge ein Schicksal analog jenem Karls des Kühnen beschieden sein.

Eine etwas theatralische, aber eindrückliche Ausstellung in der Zitadelle zeigt neben einer reichen Waffensammlung aus jener Zeit auch eine belgische Stellung aus dem Jahr 1914, wo man durch einen während einer Bombardierung beschädigten Bunker geleitet wird. Das alles bei abgedunkeltem Licht und realistischem Lärm, sowie gekonnt gestalteter Dramatik, die manchmal sogar das blosse Gehen fast unmöglich machte.

Nach all dem war es echt befreiend, wieder ans Tageslicht zu kommen und in die friedliche Stadt hinunterfahren zu dürfen.

Am Abend, von unserem Liegeplatz aus gesehen, konnten wir kaum nachvollziehen, was diese malerische Gegend schon alles durchgemacht hat.

Am 16. Juni fuhren wir von Dinant weg und übernachteten zunächst einmal in Profondeville. Am Tag darauf machten wir dann in Namur fest.
Auch diese Stadt wird überragt von ihrer mächtigen Zitadelle, die allerdings noch heute, wenigstens teilweise, militärisch genutzt wird. Nirgends hat wohl die Armee schönere Aussichten als hier. Wir hatten Namur im September/Oktober 2013 bereits einmal besucht (siehe dort) und mussten jetzt feststellen, wie sehr die Bedeutung des Tourismus in der Zwischenzeit zugenommen und wie viel die Stadt dafür getan hat. Auch hier erschliesst seit 2021 eine Schwebebahn die Festung als wichtigste Sehenswürdigkeit der Stadt und beim Zusammenfluss von Meuse und Sambre wurde mit viel Beton eine grosse, aber etwas unterkühlte Parkanlage gebaut.

Wir blieben drei Tage, schlenderten durch die Stadt, liessen aber die sonst obligaten Sehenswürdigkeiten etwas auf der Seite liegen.
Wir folgten damit der Devise des Denkmals auf dem Place d'Armes, wo sich zwei ulkige Figuren über die Vorzüge der Langsamkeit unterhalten. Diese wird durch zwei Schnecken dargestellt, von denen eine angebunden ist, während die andere in einem Käfig steckt. Eine Idee, die zum Denken anregt.

Der Abend zauberte auch hier eine wunderschöne Stimmung herbei, die man dem tiefstehenden Licht der lauen Sommerabende verdankt. Schliesslich standen wir kurz vor dem längsten Tag des Jahres.

Nach der Abfahrt ging unser Blick zurück auf den Zusammenfluss von Sambre und Meuse, welchem die Stadt ihre historische Bedeutung verdankt.

Unser Weg führte weiter auf der Meuse talwärts, die im Verlauf unserer Reise sichtbar gewachsen war und nun auch weit grösseren Schiffen mit einer Länge bis zu 110m und einer Ladung von gegen 3500 Tonnen als Fahrwasser diente. Entlang des Flussufers reihten sich zunehmend Anlagen jener Industriezweige aneinander, die stark von der Zufuhr von Schüttgut wie Stein, Sand oder Schrott abhängen. Entsprechend nahm der Schiffsverkehr mit jedem Tag unserer Reise zu. An vielen Stellen wurde Baumaterial in allen Formen in die wartenden Schiffe verladen, was zuverlässig vom Morgen bis zum Abend für viel Staub und Lärm sorgt. Ferienstimmung wollte auf diese Weise nicht mehr so richtig aufkommen.

        

So kamen wir nach Huy. Eine kleine Stadt mit wegweisendem Namen. Wie die grossen, hat auch sie eine Brücke und eine Zitadelle. Sie kann sich somit neben den anderen sehen lassen.

Am nächsten Morgen brachte uns eine kurze Reise den Fluss hinab zur Ecluse-Neuville-sous-Huy, die mehr einer Baustelle als einer Schleuse ähnlich sah. Dort wo jetzt eine riesige Baugrube sich auftut, waren wir vor neun Jahren durch eine alte Schleuse gefahren. Jetzt wird mit enormem Aufwand eine neue, viel grössere Anlage gebaut. Es bleibt zu hoffen, dass die Schiffe, die auf der Talseite lagen, nicht warten müssen, bis die neue Schleuse fertig ist.

 

Unsere Fahrt zum nächsten Übernachtungsplatz bei Pont d'Engis wurde zunehmend unromantischer und widerspiegelte die Grösse und Dominanz der stetig wachsenden Wirtschaft.

          

Trotzdem blieb es eine spannende Fahrt, bis wir schlussendlich in Liège (Lüttich) ankamen. Wir wählten einen Anlegeplatz etwas vor der Stadt und damit ausserhalb des offiziellen Hafens. Auf dem Gelände der Union Nautique de Liège fanden wir an einem langen Quai viel Platz mit bester Aussicht. Wir blieben drei Tage hier und genossen die lebendige Stadt, die in sommerlich ausgelassener Stimmung einen erfrischenden Gegensatz bot zum Bild der Welt, das uns mit den Nachrichten tagtäglich entgegen trat.

Danach sind wir aufgebrochen mit der Idee, in zwei kurzen Etappen nach Maastricht zu fahren. Den ersten Abend verbrachten wir in der Darse von Haccourt, wo noch andere Schiffe mit uns für die Nacht oder gar fürs Wochenende angelegt hatten.
Einmal mehr haben wir gesehen, dass der Fluss erneut deutlich grösser geworden war und die Schiffe entsprechend zahlreicher und ebenfalls grösser. Schubverbände mit zwei Leichtern (motorlose Schiffe von bis zu 95m Länge) waren beinahe die Norm. Wobei die Leichter hintereinander oder auch nebeneinander angeordnet sein konnten. Und dabei ist doch jeder selber gut 11m breit! Die Schleusen sind jedoch mit bis zu 25m Breite für beides gewappnet.

Am zweiten Tag hatten wir zunächst die Schleuse von Lanaye zu passieren, die das zuvor Gesagte gleich direkt bestätigt. Hier liegen gar vier Schleusen nebeneinander. Die grösste, ausgelegt für Schiffe bis 9000 Tonnen, ist 225m lang und 25m breit. Erst 2015 war sie eingeweiht worden. Die Schleusen bewirtschaften einen Knotenpunkt der Binnenschifffahrt an der Grenze von Belgien und Holland, wo die Maas, der Canal de Lanaye und der Canal Albert sich treffen. Hier werden die Schiffe jeweils rund 14m abgesenkt oder gehoben. Hier verkehrt aber auch der Löwenanteil der Fracht zwischen Liège und Rotterdam.


(Foto: Quelle Internet)

Vor dieser Schleuse mussten wir eine gute Stunde warten, wobei es uns aber gar nicht langweilig geworden war. Ständig fuhren die Kähne in alle Richtungen, beladen mit Gütern, von denen wir nicht einmal die Namen wussten. Dabei hätten wir genügend Zeit gehabt, das vorstehende Bild selber zu machen, haben es aber irgendwie verpasst.

Kurz nach der Schleuse überquerten wir die Grenze nach Holland. Danach genügte eine knappe Fahrstunde zu Tal, um nach Maastricht zu kommen. Dort fanden wir zwischen den Brücken, trotz der etwas verspäteten Ankunft, eine gute Anlegestelle, von der aus wir in wenigen Minuten das Stadtzentrum zu Fuss erreichten. Es war Samstagmittag und die Stadt war entsprechend belebt.

  

Natürlich liessen wir es uns nicht nehmen und besuchten erwartungsvoll die Stadt. Dabei wurden wir nicht enttäuscht und trafen eine Lebendigkeit und Fröhlichkeit, die wir seit Wochen nicht mehr gesehen hatten. Natürlich waren wir jetzt in Holland und das spürten wir sofort. Es kamen angenehme Erinnerungen auf, die wir während unserem Aufenthalt in Amsterdam vom November 2012 bis zum Februar 2013 (siehe dort) offenbar angesammelt hatten.
Maastricht ist eine der ältesten Städte in Holland und geht auf eine keltische Siedlung zurück, die schon um 500 v. Chr. wegen einer Furt über die Maas an dieser Stelle gestanden hat. Dieser Umstand erklärt auch ihrem Namen. Die Römer hatten später an der selben Stelle eine Brücke gebaut und legten damit den Grundstein zu einer langen und bewegten Geschichte. Heute spürt man auf Schritt und Tritt, dass die Stadt im Süden an das französisch sprechende Wallonien grenzt, was die lateinische, empfindsame Seite der Medaille erklärt, während die andere durch die holländische Selbstsicherheit und Unbekümmertheit geprägt wird. Ein Ort, der sicher nicht arm ist und es sich leisten kann, auf die kleinen Dinge des Lebens viel Wert zu legen. Zudem findet man hier fast ebenso viele touristische Höhepunkte wie in Amsterdam. Eine gute Gelegenheit also, zu flanieren und das Leben zu geniessen.

        

Natürlich machten auch wir es uns bald bequem und genossen ein erstes Bier zusammen mit Bitterballen, ein typisch holländisches Borrel!

 

Damit soll Schluss sein für diesen Monat. Es hat sich viel getan und viel angesammelt während dieser Zeit. Wir waren allerdings auch viel unterwegs, weil wir noch immer unser Ziel am Ende der Saison im Kopf haben.
Trotzdem wollen wir die Vorteile der Langsamkeit sicher nicht aus den Augen verlieren!

 

Monat Juni 2022:
51 h 05'
- 40 Schleusen
- 271 km

- 2 Tunnel


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