August 2022 ![]() |
Die letzten Tage des Vormonats waren wir durch die Randmeeren
gefahren, entlang dem südlichen Ende von Flevoland.
Das mag vielleicht etwas verwirrend tönen, ist aber eine Spezialität der Holländischen Sprache,
wo
...meere das sind, was wir auf Deutsch mit ...see
meinen.
Wenn wir aber einem Holländer das Meer zeigen wollen, müssen
wir mit ihm an die Zee gehen.
Darum ist Flevoland aus einem Teil des Ijsselmeeres entstanden, das
bekanntlich ein See ist. Diesem wurde Flevoland im Laufe des 20. Jh
abgezwackt, durch das wohl grösste Aufschüttungsprojekt aller
Zeiten. Seit 1986 bildet das so gewonnene Landstück (mehr als 1400 km²!) die
jüngste Provinz der Niederlande. Es liegt im Durchschnitt rund 5m
unter dem Meeresspiegel.
Den Abend des 1. August verbrachten wir in der Marina von Ketelhaven. Diese erscheint ein bisschen wie der arme Neffe neben dem deutlich grösseren Jachthafens gleich auf der anderen Seite des Deiches. Selbst das Restaurant 'Lands End' am Ende des Damms, ist trotz seiner ausgesprochen schönen Lage seit Jahren geschlossen. So feierten wir unseren Nationalfeiertag eben ganz privat, in ruhigem Rahmen, aber zufrieden und gemütlich.
Wie es bereits unser Titelbild andeutet, haben Ferienzeit und schönes Wetter offensichtlich sämtliche Leute aufs Wasser gelockt, die irgendwie Zugang zu einem Schiff haben. Wir sind darum gut gefahren mit unserer Praxis, jeweils bereits um die Mittagszeit unseren Tagesliegeplatz zu beziehen. Auch bei unserem folgenden Stopp in Zwartsluis hat es sich bewährt, dass wir, vom Zwarte Water herkommend, schon um 12.00 Uhr vor der grossen Schleuse im Berufshafen anlegten. Obschon der Hafen gut besucht war, fanden wir für uns einen bequemen Platz. Das grosse Schiff hinter uns war erst etwas später dazugekommen. Da mehrere Berufsschiffer sich wegen der Schulferien mit ihrer gesamten Familie hier zu einem längeren Halt eingefunden hatten, sah der Hafen bald aus wie ein Ferienlager, in dem Kinder und Eltern unbeschwert ihr gemeinsames Leben genossen. Baden, schwimmen, stand-up-paddeln standen zuoberst auf dem Programm und - leider auch - ruppiges, lärmiges motorbootfahren durch die wassergewohnten Teenies.
Bei unserem Besuch im volkstümlichen Museum Schoonewelle in Zwartsluis haben wir ein paar Tage später ein Foto aus dem Jahr 1917 gefunden, das unseren aktuellen Liegeplatz zeigt, wie er vor rund hundert Jahren ausgesehen hatte.
Wie es sich während der vorangegangenen Tage mit Hilfe von Whatsapp und der Website Marinetraffic nach und nach angekündigt hatte, bot sich in Zwartsluis, sofern wir unsere Fahrrouten nur geringfügig anpassten, eine günstige Gelegenheit zu einem Treffen mit Monika und Hans, die zusammen mit ihrem Chico unterwegs waren. Nur wenige Stunden nach unserer Ankunft machten sie ihre Baba Jaga etwa einen Kilometer weiter in der Marina fest. Von dort gab es sogar eine Gratis-Fährverbindung zur Schleuse vor unserem Liegeplatz. Während der letzten beiden Jahre mussten wir, hauptsächlich coronabedingt, jeweils nach Luzern fahren, wenn wir die drei besuchen wollten (siehe Oktober 2020 und November 2021). Darum nutzten wir hier die folgenden zwei Tage für ausgiebige Besuche. Es war schön, sie wieder einmal in Schiffer-Umgebung treffen zu können.
Das oben erwähnte Heimatmuseum bot neben einer aktuellen Ausstellung zum Thema Vogelflug (born to fly) auch einige berührende Erinnerungen an längst vergangene Zeiten. Die Werkstatt eines Bürstenmachers etwa, oder Klompen, die mit ihrer jeweils spezifischen Form genaue Auskunft gaben über die Herkunft ihres Trägers, oder Holzschuhe, die auch zum schlittschuhlaufen und wandern auf dem Eis geeignet waren. Andere Ausstellungsstücke aus längst vergangenen Tagen werden wohl bei manchem Grossvater wehmütige Erinnerungen wecken, die er dann voller Freude seinen Enkeln zu erzählen versucht, während diese kaum von ihrem Smartphone aufblicken. Wie sehr hat sich doch die Welt in relativ kurzer Zeit verändert!
Nach einer knappen Woche fuhren wir weiter durch die Aremberger-Gracht Richtung Norden. Damit kamen wir einmal mehr durch grosszügige, weitläufige Landschaften, wie sie nur in einer Gegend zu finden sind, deren Bewohner im wahrsten Sinn des Wortes ihre Lebensgrundlage dem Meer abgetrotzt haben. Dass sie bei diesem Kampf während Jahrhunderten nie ermüden und nie nachlassen durften, mag wohl auch zu der Hartnäckigkeit und Entschlossenheit beigetragen haben, für die sie heute bekannt sind.
Die lange gerade Gracht brachte uns auf die weiten Gewässer der Beulaker und der Belter Wijde.
Das schöne und warme (heisse) Wetter hatte allerdings auch seine Schattenseiten. Da unser Jahresziel Berlin war, hatten wir immer aufmerksamer die Konsequenzen der weit verbreiteten Trockenheit verfolgt. Wenn sogar Holland anfängt, sich über mangelndes Wasser zu beklagen, wie viel grösser müssen dann die entsprechenden Probleme in anderen Ländern sein? Für uns stand der Haren-Rütenbrock Kanal im Vordergrund, unser geplanter Weg von Holland nach Deutschland. Schon bald wurde von dort die Wassertiefe, die normalerweise mindestens 1,5m beträgt, mit 1,2m gemeldet, bei weiter sinkender Tendenz. Das hätte für uns nicht mehr gereicht. Selbst ein Umweg über den Dollard kam nicht in Frage, weil zwei Schleusen auf der Ems ausgerechnet im September für Unterhaltsarbeiten geschlossen werden. Um allfälligen Problemen auszuweichen, begannen wir, uns nach einem Winterstandort in Holland umzusehen.
Fürs erste wendeten wir jenseits der Beulaker Wijde und machten uns auf
den Weg nach Meppel. Diesen Ort hatten wir schon im Mai
2018 besucht (siehe dort) und hatten ihn in guter Erinnerung.
Dieses Mal hatte Matz allerdings ganz andere Pläne.
Die Suche nach einem Liegeplatz gestaltete sich eher schwierig. Wir waren eben bei weitem nicht die einzigen. Schlussendlich fanden wir aber im Buitenhaven doch noch einen guten Platz für unsere Mizar, beinahe an der selben Stelle wie 2018.
Aber eben: Matz hatte ganz andere Pläne.
Vor längerer Zeit hatte sie ein spezielles Virus befallen. Während andere sich vor dem Coronavirus fürchteten, wurde dieses hier freudig willkommen geheissen und das Steampunk-Virus hatte Matz vollkommen im Griff. Die Latenzzeit hatte etwas mehr als ein Jahr gedauert, im August 2021(siehe dort) war die 'Krankheit' erst richtig ausgebrochen. Der erste Schub in Echternach verlief noch recht harmlos, der zweite beim Schiffshebewerk in Henrichenburg hinterliess aber bleibende Spuren. Dass andere Anlässe wegen der Coronakrise in der Zwischenzeit hatten gestrichen werden müssen, war wohl höhere Fügung, konnte aber den weiteren Verlauf nicht beeinflussen. Die Zeitreise in Villingen (siehe Oktober 2021) zeigte dann, dass wohl kaum eine Besserung zu erwarten ist. Im Gegenteil, während langen, arbeitsintensiven Winterabenden entstand ein neues Outfit und gleichzeitig wuchs die unzähmbare Lust auf ein nächstes Treffen. Lange musste Matz sich gedulden, doch Mitte August war es dann endlich wieder so weit. Wir hatten einen guten Liegeplatz für unser Schiff und Matz hatte vorausschauend einen Mietwagen gebucht, der sie mit viel Gepäck zum diesjährigen Treffen beim Schiffshebewerk in Henrichenburg bringen würde.
Doch lassen wir sie lieber selber berichten:
Ein heisses Wochenende kündigte sich schon frühzeitig an, und so war es
dann auch. 32 Grad am Samstag, 34 Grad am Sonntag...
Das wirkte sich aber nicht auf die Stimmung aus!
Der Glacéstand war jeweils gegen fünf Uhr ausverkauft und die Fahrten
auf dem historischen Dampfschiff Cerberus mit etwas Fahrtwind 'heiss'
begehrt.
Leider waren am Samstag einige Teilnehmer schon heimgegangen, bevor das
Gruppenfoto gemacht wurde, ein paar hielten es dennoch in der prallen
Sonne aus.
Schön war's; bis nächstes Jahr!
Die Zeit war schnell vergangen und am Montag kam Matz, gezeichnet vom heissen Wetter und den Aufregungen der letzten Tage, wieder zurück.
Wir benützten die Gelegenheit, dass wir ein Auto zur Verfügung hatten, um
mögliche Plätze zu besuchen, wo wir unser Schiff während des nächsten
Winters mit gutem Gewissen lassen könnten. Das Risiko, dass sich der
Wassermangel in den nächsten Wochen eher noch verschlimmern würde und
wir dann plötzlich ohne geeigneten Winterplatz dastehen würde, schien
uns zu gross. Zusätzlich hat uns die Umgebung sehr gut gefallen und der
Umgang mit den Leuten dort schien uns gemütlich und vertrauenswürdig. Wir
haben darum frühzeitig den Entschluss gefasst, unsere Reise nach Berlin erst im nächsten Jahr fortzusetzen. Das bedeutete
auch, dass wir fürs erste ein
paar Tage länger in Meppel bleiben würden.
In einem Kringloopwinkel (Trödlerladen) unweit des
Hafens haben wir einen 'neuen' alten Gartentisch gefunden, der nach nur
wenigen pflegenden Massnahmen und etwas Beize unseren arg in die Jahre
gekommenen alten Tisch ersetzte. Einmal mehr haben wir dabei erfahren,
dass Musse immer auch Gelegenheit für neue Ideen bedeutet.
Gleichzeitig bekamen wir die Möglichkeit, eine andere Seite des Stadtlebens von Meppel kennen zu lernen.
Im Bemühen, die Stadt zu beleben und damit den Besuchern mehr zu bieten, aber wohl
auch um das Geschäft in der Ferienzeit etwas anzukurbeln, hat die Stadt
jeden Donnerstag im August zum Festtag erklärt:
zum 'donderdag
Meppeldag'.
Zu diesem Zweck wurde jeweils unter einem Leitthema das Stadtzentrum
mit viel Aufwand in eine
einzige Festhütte verwandelt. Während am ersten Donnerstag 'Amerika' zu
Gast war, mit Rock and Roll und Countrymusik, galt am zweiten das Thema
'Mokum
in Meppel'.
Dabei steht 'Mokum' für die Altstadt von Amsterdam in jiddischer
Tradition. Folglich ertönte überall die typische holländische
Schunkelmusik von bekannten Amsterdammer Sängern, die zuverlässig die in Scharen angereisten Gäste,
unabhängig von deren Jahrgang, vom Hocker riss und zum Singen animierte.
Dabei floss das Bier in Strömen und das Geschäft florierte!
Nach dieser bunten Ablenkung sind wir noch einmal über die Bücher gegangen. Nach einigem Abwägen haben wir beschlossen, dass wir im Oktober nach Terherne fahren und dort das Schiff im Jachthaven Nerushoek für den Winter festmachen werden. Ein kleiner Hafen mit einem umgänglichen Besitzer, wo es alles gibt, was es zum leben braucht und wo auch kleinere Unterhaltsarbeiten durchgeführt werden können.
Nach fast zwei Wochen ging unsere Reise wieder weiter. Allerdings zunächst auf dem gleichen Weg zurück, auf dem wir gekommen waren. Erneut durch das Meppelerdiep in die Beukersgracht und von dort wieder in die Beulaker Wijde, wo wir vor drei Wochen schon ein paar schöne Tage verbracht hatten. Das Wetter war prächtig, nicht mehr ganz so heiss wie zuvor und wir fühlten uns so richtig in Ferienstimmung.
Wo es uns gerade gefiel, machten wir für zwei Tage Halt. Wegen unsererer Planänderung hatten wir jetzt plötzlich unerwartet viel Zeit und Anlegestellen, die das Festmachen für 2x24 Stunden erlauben, gab es genügend. Wir waren allerdings nicht allein. Schiffe in jeder denkbaren Form und Grösse fuhren in beiden Richtungen an uns vorbei. Gelegentlich sah das aus wie eine Parade. Wir sahen dabei so manches, was wir noch nie gesehen hatten. Grosse protzige, wunderschön gepflegte historische und gemütlich niedliche Schiffe. Ihre Bewohner winkten fleissig beim Vorbeifahren, waren freundlich und sichtlich guter Laune. Auch wir fuhren in kleinen Etappen weiter durch die Walengracht nach Jonen, durch das Giethoornse Meer nach Muggenbeet (wo es während der Nacht tatsächlich viele Mücken hatte!), durch Scheerwolde nach Wetering. Häufig vorbei an gepflegten, rietbedeckten Liegenschaften, die von der gesuchten Lage profitierten, den Wohlstand ihrer Besitzer widerspiegelten und selbstverständlich jeweils über einen kleinen, eigenen Hafen verfügten.
Am nächsten Morgen zogen wir zeitig weiter. Wir wollten die Brücke in
Ossenzijl passieren, ehe allzuviel Verkehr die schmale Gracht beleben
würde. Diese Brücke machte es uns nicht leicht. Wegen Bauarbeiten galt eine
Längenbeschränkung, welche die Durchfahrt für Schiffe über 20m verbot. Sollte die Passage für uns
nicht möglich sein, hätten wir zurück fahren müssen bis Zwartsluis. Und das
wollten wir nach Möglichkeit vermeiden.
Bei der Fahrt durch
Kalenberg mussten wir das Brückengeld
noch auf die alte, traditionelle Art begleichen: mit einer
Fischerrute streckte uns der Brückenwärter einen Holzschuh entgegen, in
den das Geld in klingender Münze gelegt werden musste.
Nur ein paar hundert Meter nach den letzten Häusern trafen wir auf eine lange Anlegestelle, die es bei
unserem letzten Besuch noch nicht gegeben hatte. So überraschend, wie sich die
Gelegenheit anbot, so schnell machten wir davon Gebrauch. Zusätzlich
bekamen wir dadurch die Gelegenheit, die Situation bei der
kritischen Brücke in Ossenzijl per Velo aus der Nähe zu beurteilen. Der kleine
Ausflug
dahin ergab, dass die Durchfahrt zwar etwas verengt,
jedoch möglich war. Das einzige Problem bestand in der Tatsache, dass
sie für uns eindeutig verboten war. Weil am Montag darauf
zufälligerweise die Ferien zu Ende gingen und wir deswegen deutlich
weniger Verkehr erwarteten, entschieden wir uns, die nicht ganz
regelkonforme Passage erst dann anzugehen. Dieser Entscheid entspannte uns
spürbar und wir genossen einen zusätzlichen Tag, an dem wir zu Fuss noch
einmal nach Kalenberg zurück gingen und im Restaurant neben
der Brücke einen Kaffee und die schöne Aussicht genossen.
Gerne erinnerten wir uns daran, dass wir diese ganze Gegend schon im
Juli 2015 (alleine) und August 2015 (mit Besuch) ausgiebig besucht hatten
(siehe jeweils dort).
Daher war es natürlich auch interessant zu sehen, was sich seither
verändert hat und was gleich geblieben ist.
Am nächsten Tag fuhren wir weiter und winkten in Ossenzijl mit leicht
schlechtem Gewissen, dafür betont freundlich, dem Brückenwärter. Dieser sah aber
ganz offensichtlich bei unserer Passage kein Problem.
Etwa 4 km später, bei der Driwegsluis legten wir
erneut an, zufrieden, dass wir uns vergeblich Sorgen gemacht hatten. Der
Name dieser markanten Wegbiegung geht auf die alte Schleuse zurück, die
hier bis 1996 den Wasserstand gegenüber dem Ijsselmeer gleichzeitig für
zwei Kanäle regelte. Sie öffnete daher ihre Tore für den Verkehr in drei
Richtungen.
Den Monat August beschlossen wir Echtenerbrug in Friesland, nach einer kurzen Fahrt durch die weite, grosszügige Landschaft.
Ein sorgloser Monat, bei schönstem Wetter in bester Ferienstimmung.
Fast zu schön, um wahr zu sein!
> Monat August 2022:
20 h 20'
- 6 Schleusen
- 13 Brücken
- 125 km