August 2023    

  

Am ersten August sind wir weitergefahren. Eigentlich hätte die Grüne Kathedrale, bei der wir zuvor einige Tage verbracht hatten, einen würdigen Rahmen für unseren  Nationalfeiertag (1. August) abgegeben. In den letzten Jahren hatten wir diesen Tag immer gebührend gefeiert. Bescheiden zwar und so, wie wir es seit Kindstagen gewohnt sind. Unsere Nationalität hat uns bislang bei vielen Gelegenheiten Vorteile verschafft, für die wir dankbar sein wollen und auf die wir gelegentlich sogar etwas stolz waren. Aber ausgerechnet dieses Gefühl hat in der letzten Zeit und in der schwierigen Lage, in der sich die Welt aktuell befindet, arg gelitten. Es ist sicher sinnvoll, die eigene Herkunft zu kennen und Traditionen zu pflegen. Aber die Welt steht nicht still. Wenn Beziehungen und damit zusammenhängende Probleme weltumspannend werden, müssen auch unsere Massstäbe entsprechend wachsen und ebenfalls den Globus umfassen können. Es genügt dann nicht mehr, kleinkrämerisch die eigenen Vorteile mit einem verbalen Gartenzaun zu hüten. Zusammen mit der Wertschätzung durch die Anderen verliert man so auch den eigenen Weitblick und damit wichtige Kompetenzen. Zwangsläufig, wenn man zu viel nach hinten und kaum nach vorne schaut.
Darum hielt sich im Moment unsere Lust auf ausgiebiges Feiern in Grenzen.

Über die Hoge Vaart fuhren wir einmal mehr durch weites, ebenes Land, auf einer oft über Kilometer schnurgeraden Strecke. Weil das Wetter dabei eher grau und trübe war, erfreuten wir unser Herz an einer der kleinen Sonnenblumen, die irgendwie den Weg in unsere Blumentöpfe gefunden hatten. Wir betrachteten sie als unsere kleine, ganz private Sonne (Titelbild).

 

Nach gut 2½ Stunden machten wir bei der Hogen Knarsluis fest.

Aus der Luft ist der Knardijk (Damm) gut sichtbar, der von NW nach SO verläuft. Während der Zeit, als zuerst der östliche Teil Flevolands leergepumpt wurde, hielt er das Wasser der anderen Hälfte zurück.  Nach zehn weiteren Jahren war auch diese andere Hälfte vom Wasser befreit und der Knardijk wurde überflüssig. Mit ihm auch die beiden Knar-Schleusen in der Hogen und der Lagen Vaart, deren auffällig roten Tore seither offen stehen.

Auf diesem Weg, wurde uns eigentlich erst richtig bewusst, dass wir uns durch Land bewegten, das es vor weniger als hundert Jahren noch gar nicht gegeben hat. Im gleichen Zusammenhang realisierten wir auch, warum der Kanal, durch den wir gerade fuhren, Hoge Vaart heisst und warum der andere, auf dem wir im Mai 2018 (siehe dort) in die andere Richtung gefahren waren, die Lage (niedrige) Vaart genannt wird. Weil all das Land dem Meer im Norden abgerungen worden war, ist es leicht nachvollziehbar, dass der Boden im Norden von Flevoland tiefer liegen muss als jener im südlichen Teil, denn er fällt ja zum Meer hin ab. Darum liegt auch der Kanal, der den Nordteil entwässert (Lage Vaart) tiefer, als jener, der das selbe im Süden tut (Hoge Vaart). Will man vom IJsselmeer oder den Randmeeren in die Lage Vaart einfahren, muss man entsprechend durch zwei Schleusen absteigen, während eine allein für die Hoge Vaart ausreicht.

Wie wir schon im letzten Monatsbericht erwähnten, war Flevoland in den 1950er Jahren eingedämmt und danach trocken gelegt worden.
Schon im 17. Jh waren erste Pläne entstanden, die damalige Zuidersee, deren häufige Sturmfluten immer wieder Inseln und Küstengebiete verwüsteten und Menschen den Tod brachten, mit einem Damm auszusperren. Zu dieser Zeit fehlten allerdings die dazu notwendigen technischen Möglichkeiten. Die wissenschaftlichen und technischen Fortschritte in der zweiten Hälfte des 19. Jh weckten diese Begehren erneut und die daraufhin gegründete Zuiderzeevereiniging unternahm erste konkrete Schritte. Ihr Sekretär und späterer Wasserbauminister Cornelis Lely liess sich durch mehrere politische Misserfolge nicht entmutigen, zeichnete als Ingenieur die Pläne für die Trockenlegung und brachte schlussendlich das Vorhaben als Minister in Gang. Die erste Trockenlegung eines Polders erlebte er allerdings nicht mehr. Aber er lebt im Namen von Lelystad, der Hauptstadt der Provinz Flevoland, weiter.
Als krönender Abschluss des Projekts wurde 1986 die Provinz Flevoland gegründet. Dabei waren nur zwanzig Jahre zuvor die ersten Siedler auf das neu gewonnene Land gezogen und hatten es urbar gemacht. Alle Betriebe und Einrichtungen, denen wir hier begegneten, sind also jüngeren Datums. Das Werk, das hier die Holländer vor hundert Jahren in Angriff genommen hatten, ist gewaltig. Von allem Anfang an war aber das Endergebnis der ganzen Arbeit bis ins kleinste Detail vorgeplant. Das neue Land wurde exakt vermessen, Siedlungsräume ausgeschieden und das Landwirtschaftsland geometrisch eingeteilt. Selbst die künftige Nutzung für jede Parzelle wurde festgelegt. Frei von jeder Tradition, war die Planung zukunftsgerichtet und entsprechend modern. Die Landwirtschaft ist zwar intensiv, aber trotzdem gibt es etwa fünf Mal so viele biologisch zertifizierte Betriebe als in den anderen Teilen der Niederlande. Auch bei der Energiewende macht man mit an vorderster Front, was die stetig wachsenden Reihen von Windkraftanlagen beweisen, die hier, im ständig wehenden Wind, besonders effizient sind. Ebenso sind von Beginn an auch verschiedene Naturschutzzonen eingeplant worden. Entlang der Kanäle und Strassen wachsen heute mächtige Bäume aus der Anfangszeit. Bäume, die an Strassen gepflanzt worden waren, konnten stehen bleiben, selbst wenn die Strassen später verbreitert werden mussten. Der dafür notwendige Raum war schon zu Beginn eingeplant worden.

Während unserem Aufenthalt am abgelegenen und trotzdem äusserst lebendigen Anlegeplatz bekamen wir Besuch von ganz verschiedenen Mitbewohnern.

   

Das erste Stück mit dem Velo, dann mit dem Bus, fuhren wir an einem mässig schönen Tag zum Aviodrome, dem Luftfahrtsmuseum von Lelystad. Weil dieses Museum 2003 vom Flughafen Amsterdam-Schiphol nach Lelystad verlegt werden musste, hatte es dort zunächst einen schwierigen Start, der nach acht Jahren gar zu einem Konkursverfahren führte. Dank dem Verkauf an ein Freizeitpark-Unternehmen mit der notwendigen wirtschaftlichen Kompetenz konnte es jedoch erhalten werden und ist heute durchaus sehenswert.

In seiner Nähe steht ein 'Kunstwerk', über dessen Wert man sich streiten kann, aber immerhin darf es bestiegen werden. Für Hansruedi so etwas wie ein Marschbefehl!
Die Aussicht in der flachen Landschaft ist allerdings bescheiden.

Von da an ging es zu Fuss zum Museum.

Dieses erzählt als Schwerpunkt die Geschichte der Holländischen Zivilluftfahrt. Aber auch die Anfänge des holländischen Flugzeugbauers Fokker, das weltweit letzte (flugfähige) Exemplar einer DC-2, wie jene, die 1934 am Rennen England-Melbourne mit dabei war. Besonders elegant ist die Lockheed Constellation in KLM Farben, die in einer aufwendigen 2-jährigen Aktion von Texas nach Lelystad überflogen wurde. Publikumswirksame Demonstrationen und ein leistungsfähiges Restaurant machen den Besuch familientauglich.

 

Erst als die Verweilzeit, die uns die 'Hausregeln der Provinz Flevoland' erlaubten, auch wirklich um war, machten wir uns erneut auf den Weg und kamen nach einer Stunde gemütlicher Fahrt nach Biddinghuizen. Unser Kühlschrank war fast beängstigend leer und verlangte nach Nachschub. Natürlich galten hier weiterhin die selben 'Huisregels'.

 

Biddinghuizen ist wohl ein typisches Dorf mit gut 6000 Einwohnern, das bei der Besiedlung des Polders in den 1960er Jahren nach vorgegebenem Plan enstanden ist. Es hat alles, was es zum Leben braucht: Einkaufszentrum, Läden, Sportplätze und viel Platz für Wohnhäuser, die unmittelbar an einen gepflegten, aber trotzdem natürlich wirkenden Park angrenzen. Aber auch nicht mehr.
Nach vier Tagen hatten wir alles Notwendige erledigt, Wasser und unsere Vorräte aufgefüllt.


Schon nach gut 7 km legten wir erneut an und wurden Augenzeugen beim Bau einer Windkraftanlage, wie wir sie in den letzten Wochen überall gesehen hatten.



Bei unserer Ankunft stand bereits der Turm mit der Gondel und darum herum lag auf einem gut organisierten Werkplatz alles weitere bereit. Während der folgenden zwei Tage wurden dann mit dem Kran zunächst der Rotorkopf und am Tag darauf die drei Rotorblätter montiert.

 

Es war für uns ein beeindruckendes Erlebnis, das wir von unserer Terrasse aus verfolgen konnten, mit welcher Ruhe und Präzision hier gearbeitet wurde. Ein offensichtlich eingeübtes Team!
Zwischendurch erledigten wir, einmal mehr, ein paar kleinere Malerarbeiten auf dem Schiff.

   

   

   

Die vier Tage waren gleichsam im Flug vergangen, als wir nordwärts weiterfuhren bis zur Kampersluis, die uns gut zwei Meter absenkte, bis auf das Niveau der Lage Vaart.

Von dort war es dann nur noch eine knappe Stunde bis nach Dronten.
Wisentbos, unser erster Liegeplatz in Dronten, lag gegenüber der Stadt, inmitten scheinbar wild wachsender Natur. Schmale Wege, auf denen gelegentlich Kaninchen umherhoppelten, führten quer durch den Wald entweder in das Industriegebiet oder zurück zur Brücke, die in die Stadt führt. Aufgefallen sind uns vereinzelte Walnussbäume, die, scheinbar zufällig verstreut, im Gebüsch wachsen. Alle aber voll behangen mit wunderschönen Nüssen, gross und grün. Leider waren wir für die 'Ernte' einen guten Monat zu früh dran.

Schon vor einiger Zeit hatten wir erfahren, dass unsere Mizar, die damals noch mit dem Namen Pegasus unterwegs war, während Jahren für eine Grastrocknerei (Grasdrogerij Marknesse) in der Nähe von Dronten gearbeitet hatte. Diese Firma verarbeitete vor allem Gras und Luzerne zu Viehfutter, indem sie Futterpellets herstellte. Ein ernsthaftes Problem mit kontaminiertem Futter hatte für das Geschäft dann allerdings derart schwerwiegende Konsequenzen, dass die Firma gegen Ende der 1980er Jahre Konkurs anmelden musste. Aus diesem Anlass kam unser Schiff damals in den Verkauf.
Da wir zur Zeit ohnehin in der Nähe waren, wollten wir unserer Mizar zu ihrem 97. Geburtstag (Baujahr 1926) einen Besuch an ihrem ehemaligen Arbeitsort ermöglichen und fuhren am Samstag dahin.

 Obschon vor uns bereits zwei andere Käufer das Schiff erworben hatten, sind wir jetzt schon seit 15 Jahren mit unserer Mizar unterwegs. Während dieser Zeit haben wir unendlich viel erlebt.
Ein Bild, das wir im Internet gefunden haben, zeigt die Grasdrogerij Marknesse an ihrem Standort ...


(Bild Internet)

... während wir ein zweites aus einem Buch kopierten, das im Museum auflag.

Unsere aktuellen Fotos zeigen die Mizar am Quai, an dem sie wohl unzählige Male gelegen hatte.

Unser stolzes 'Geburtstagskind'!

 

An der Stelle, wo damals die Grastrocknerei gestanden hatte, ist heute in den Hallen eines ehemaligen Busdepots das MEC-Museum (Mechanisch Erfgoed Centrum) untergebracht. Hier hüten und pflegen Leute mit viel Gefühl für die Vergangenheit und unbändigem Sammeltrieb alles, was vor vielen Jahren als technische Revolution gegolten hatte. Eine bunte Mischung von Dampfmaschinen, alten Autos, Landwirtschaftsgeräten, Werkzeugen, alten Motoren und Generatoren, bis hin zu urtümlichen Fernsehern und Computern. Alles, was die Zeit bis heute überdauert hat, wird hier ausgestellt. Immer am dritten Samstag im Monat ist Dampftag. Dann wird jeweils alles, was mit Dampf betrieben werden kann, in Bewegung gesetzt. Wir hatten das Glück, ausgerechnet an einem solchen Samstag hier zu sein und so war auch richtig etwas los.

   

Danach verbrachten wir zwei weitere Tage im Hafen der Water Sport Vereiniging Dronten und benutzten die Gelegenheit, wieder einmal ausgiebig Wäsche zu waschen und diese an der Sonne zu trocknen.

Während unserem nächsten Halt, am 3 x 24 uur Liegeplatz Bank van de Ketel bei Ketelhaven, ergab sich, beinahe zufällig, ein kurzer Besuch von Catherine und Roland auf ihrer CaRo. Sie sind ebenfalls Mitglieder des SSK (Schweizerischer Schleusenschiffer Klub) und waren auf dem Weg zurück zu ihrem Liegeplatz in der Marina Schokkerstrand. Kurzentschlossen sind sie bei uns für einen gemütlichen Schwatz längsseits gegangen. Für einmal hatten wir ausgiebig Zeit, bei einem Bier unsere Erfahrungen als Wassernomaden auszutauschen.

Am Tag darauf mussten wir feststellen, dass die Pumpe für unser Brauchwasser nicht mehr arbeitet. Das ist natürlich eine unangenehme Erfahrung, weil damit das Leben auf dem Schiff komplizierter wird. Das Gicom Jachtcentrum, das ganz in der Nähe lag, ist heute fast vollständig auf die Überwinterung von Yachten spezialisiert und hat kein Ersatzteillager mehr. Darum mussten wir wieder einmal eine der Lieferfirmen im Internet berücksichtigen und unseren Aufenthalt vorsorglich übers Wochenende verlängern, bis das Gewünschte eintreffen würde. Wir haben in diesem Sommer ja ausreichend Gelegenheit gehabt, den Umgang mit Unvorhergesehenem zu üben und liessen uns darum wegen dieser neuerlichen Programmänderung nicht wirklich aus der Ruhe bringen.
Umsomehr waren wir erstaunt, als bereits am Tag darauf, so gegen 17 Uhr, ein freundlicher Mann aus dem Jachtcentrum das Paket bei uns ablieferte.
Die Enttäuschung war aber gross, als wir feststellen mussten, dass in der Zwischenzeit die Herstellerfirma eine Änderung an ihren Pumpen vorgenommen hatte, deren Konsequenzen uns zuvor nicht aufgefallen waren. Die Montage in unserem Schiff wäre darum ohne Änderungen der fest verbauten Leitungen nicht zu machen gewesen.

Aus diesem Grund haben wir unsere geplante Reise einmal mehr geändert und sind nach Zwartsluis gefahren. Wir erinnerten uns dort an einen Laden, dessen Besitzer uns schon einmal aus der Patsche geholfen hatte. Die längere Fahrt dahin würde auch unseren Batterien gut tun, die bei diesem regnerischen Wetter, ohne Stromzufuhr von aussen, doch etwas gelitten haben. In Zwartsluis kennen wir uns eigentlich recht gut aus, waren wir doch schon mindestens zwei Mal hier (siehe Mai 2018 und August 2022). An der gleichen Stelle wie im letzten Jahr machten wir nach gut drei Stunden Fahrt erneut fest. Umgeben von einer ganzen Anzahl von Berufsschiffen, neben denen wir uns ganz klein fühlten.

Leider hatten wir in dem Ladengeschäft nicht den Erfolg, den wir erhofften. Immerhin lieh der Besitzer uns freundlicherweise seine Adresse, sollten wir das richtige Gerät im Internet finden. Eine intensive Suche trug schlussendlich Früchte und bis zum Ende des Monats warteten wir hier auf die ersehnte Postsendung. Der Einbau wird uns dann hoffentlich nicht länger als eine Stunde beschäftigen.
Diese Situation hatten wir doch, allerdings in anderem Zusammenhang, vor einem Monat schon einmal!
(siehe Juli 2023)

Beim Gang zum Wassersportgeschäft haben wir, oberhalb der Kolkschleuse und unmittelbar vor dem Ortsmuseum, das Schiff Catania angetroffen. Das führt zwar die holländsche Flagge, hat aber Schweizer-Eigner. Damit ergab sich ein Wiedersehen mit Brigitte und Hanspeter, denen wir vor längerer Zeit einmal in Echtenerbrug begegnet waren. Sie haben uns spontan zum Kaffee eingeladen und es war kaum verwunderlich, dass sich dabei ein längeres Gespräch über das Leben auf dem Schiff ergab. Es war schön, wieder einmal richtigen Bernerdialekt zu hören und spannend zu sehen, dass wir zwar verschiedene Wege gehen, diese sich aber zuverlässig immer wieder irgendwo kreuzen.

So ging erneut ein lebendiger Monat zu Ende, während dem wir, dank unserer Planung auf Sicht, viele Überraschungen erlebten. Wir konnten es uns leisten, uns jeweils die nötige Zeit zu nehmen, wenn immer wir Sehenswertem begegneten. Daneben blieb noch genügend Zeit, einfach den Tag zu geniessen und wir hörten auch wieder einmal gemeinsam ein Hörbuch. Es erzählte von einer ganz anderen Welt: dem Leben von James Cook, dem britischen Seefahrer, der mit seinen drei grossen Reisen in der zweiten Hälfte des 18. Jh Weltruhm erlangt hat. Allerdings aus der Sicht seiner Frau. (Anna Enquist: "Letzte Reise").

Dass auch in ruhigen Zeiten Dinge geschehen können, ohne die wir noch etwas entspannter gewesen wären, das ist einfach dem Leben geschuldet.

 

Monat August 2023:
- 15h 15'
- 3 Schleusen
- 3 Brücken
- 93 km

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