Januar 2025 

Das neue Jahr hatte gemütlich angefangen und verlief für uns zunächst weiterhin auf diese Art. Wir waren gut aufgehoben in unserer kleinen Wohnung in Bühl (Klettgau D) und fühlten uns entsprechend wohl..

Ruhige, aber unvergessliche Stunden verbrachten wir wiederum mit dem Anhören eines Hörbuchs. Eine Tätigkeit, die wir schon während Jahren ab und zu pflegen. Mehrere Vorteile zeichnen sie aus, gegenüber dem üblichen Lesen eines Buches. Es ist nicht nur die Bequemlichkeit. Wir haben in der jüngeren Vergangenheit viel gelernt dabei, weil wir das gemeinsam Gehörte auch gleich miteinander besprechen und vertiefen konnten. Weit besser, als wenn wir - nacheinander - das Buch jedes für sich gelesen hätten. Gleichzeitig konnte sich Matz dabei mit stricken und nähen auf die nächsten Treffen ihrer Steampunk-Gruppe vorbereiten oder - was in letzter Zeit immer mehr in den Vordergrund rückte - die Belle Epoque Anlässe, wie jener von Kandersteg, der in der letzten Woche dieses Monats auf ihrem Programm stand. Gepflegte Nostalgie, die Freude macht.

Das Hörbuch, das uns diesmal fesselte, war geschrieben von Stefan Zweig, einem der stärksten Schriftsteller des frühen 20. Jahrhunderts. Wir hörten 'Triumph und Tragik des Erasmus von Rotterdam'. Zwar ist der Name Erasmus fast allen bekannt, doch wer weiss schon etwas über das Lebenswerk dieses aussergewöhnlichen Mannes? Als Sohn eines katholischen Priesters wurde er vor rund 550 Jahren in Holland geboren und liegt im Münster in Basel begraben. In ausgesprochen gekonnter Sprache vermag Zweig die weltanschaulichen Differenzen zu schildern, welche die zwei prägenden Figuren der geschichtemachenden Reformation in Deutschland trennte: Erasmus und Luther. Obschon sie in so manchem die selbe Ansicht vertraten, taten sie das auf so unterschiedliche Weise, als würden sie in zwei verschiedenen Welten leben. Was in dieser Ansage verstaubt und weltfremd tönt, erhält durch die brilliante Schilderung von Zweig Farbe und Leben.
Genau so, wie wir in den letzten Jahren auf die selbe Weise die Geschichte von Napoléon Bonaparte hautnah miterlebten (siehe November 2023 und Februar 2024), als wir Hörbücher von Sabine Ebert und  Sandra Gulland hörten und dabei mehr über Frankreich und die europäische Geschichte lernten, als während vielen Jahren in der Schule. Dieses Mal stand die Geschichte Deutschlands zu Beginn des 16. Jahrhunderts im Vordergrund. Dabei öffnete sich für uns eine neue Welt und wir begegneten darin dem Papst Leo X, dem Römisch-Deutschen Kaiser Karl V, Holbein, dem englischen König Heinrich VIII, Melanchton, Ulrich von Hutten und Albrecht Dürrer. Eine bewegte Zeit, die unzählige blutige Kriege zur Folge hatte und damit das Schicksal Europas nachhaltig prägte.
Ein Erlebnis, das wir jedem empfehlen können.

Natürlich machten wir ab und zu auch Besuche. Bei unserer Familie genau so wie bei Freunden. Vereinzelt kam der Besuch aber auch zu uns. Und dabei konnte der Platz in unserer Wohnung schon recht knapp werden. So zum Beispiel, als die Tochter mit ihrem Mann und den drei Söhnen uns besuchte, nicht ahnend, dass zur gleichen Zeit auch der Mieter unseres Hauses mit Frau und Kind da war. Ein lebendiger Abend, wie er lebendiger nicht sein könnte.

   

Und dann war es soweit: die Belle Epoque Woche in Kandersteg stand auf dem Programm von Matz. Allerdings 'nur' von Dienstag bis Freitag, aber als Première reichte das völlig aus.
Am Reisetag war alles gepackt. Mit guter Laune, aber bei etwas trübem Wetter, konnte es per Zug in die Berge losgehen.

Die Belle Epoque Woche in Kandersteg findet seit 15 Jahren jeweils in der letzten Januarwoche statt und hat immer ein Thema. Diesmal war es 'Fotografie und Film'.
Neben dem Hauptthema gibt es viele verschiedene Programmpunkte und Anlässe (geführte Spaziergänge, einen speziellen Hutladen, eine Coiffeuse, Tanzkurse, Kegelturniere, verschiedene Abenddiners, usw.) in den Hotels, aber auch an verschiedenen Standorten im Dorf, welches mit viel Enthusiasmus bei dieser Zeitreise mitmacht. So kleiden sich z.Bsp. die Verkäuferinnen im Coop und Volg, die Angestellten der Gemeinde, die Betreiber der Kutschenfahrten, bis hin zur Belegschaft der Arztpraxis im Dorf, alle im Stil der Belle Epoque (ca. zwischen 1880 bis 1910)
Die Woche beginnt mit einer Parade am ersten Sonntag und endet mit dem Skicup am Samstag darauf. Dieser wird natürlich stilgerecht mit Holzskiern und in Sportkleidung der Jahrhundertwende durchgeführt.

Nach der Ankunft bei strahlendem Sonnenschein und winterlicher Kälte galt es, sich schnell umzuziehen und dann konnte es losgehen!

     

Zum Aufwärmen versuchte Matz im Restaurant Ritter bei Gesellschaftsspielen ihr Glück. Ein äusserst gefragter Anlass, Entschleunigung pur und viel herzliche Gemütlichkeit!

     

Aber auch das Eisstockschiessen konnte dank tiefer Temperaturen auf der Natureisbahn beim Bahnhof durchgeführt werden und erfreute sich grosser Beliebtheit. Leider wurde es dann am nächsten Tag nichts mit dem Fackel-Schlittschuhlaufen (natürlich auf zeitgenössischen Schlittschuhen, die man sich vor Ort hätte ausleihen können). Eine Warmluftfront hatte über Nacht das Eisfeld in einen seichten See verwandelt.

     

Die nachfolgende Kaltfront brachte dann wieder richtig winterliche Kälte mit sich. Gute Verhältnisse für den Besuch der Ausstellung über Fotografie und einen Film im Gemeindesaal. Neben den interessanten Exponaten und Kurzfilmen zur Unterhaltung wurden dort auch Vorträge über die Ära des Stummfilms und der damaligen Stars, den Anfang der Werbefilme, sowie über Stil und Etikette (Knigge der Belle Epoque) gehalten. Aber auch für das leibliche Wohl wurde gesorgt: eine Kaffeestube mit vor Ort gebackenen Bretzeli und Schokoladetaler, wie sie früher dazu gereicht wurden, lud zum Verweilen ein.

     

  

Leider gingen diese vier Tage viel zu schnell vorbei... aber für das nächste Jahr ist die Unterkunft bereits reserviert! So dass es heissen kann:
Belle Epoque Kandersteg 2026, ich komme wieder!

 

Zum Monatsabschluss besuchten wir, zusammen mit den zwei grösseren unserer Enkel eine Aufführung des Balletts 'Der Nussknacker' im Volkshaus in Zürich.



Wenn vielleicht die beiden Buben auch etwas überfordert waren, machten sie doch eine bisher unbekannte Erfahrung mit vielen neuen, buchstäblich zauberhaften Eindrücken.

  

So haben wir einen friedlichen und ruhigen Monat verbracht und es genossen, viel Zeit für uns selber zu haben.
Ein Blick über den Tellerrand hinaus machte uns jedoch immer wieder klar, dass das nicht selbstverständlich ist. Schien doch die Welt um uns herum verrückt zu werden. Gleichzeitig wüteten, gar nicht soo weit weg von uns entfernt, die Kriege in der Ukraine und im nahen Osten, wo zehntausende jeden Tag um ihr Leben fürchten und unter schwierigsten Umständen um ihr blosses Überleben kämpfen mussten.
Derweil die komische Figur in Amerika als neuer Präsident alles durcheinander brachte und die Regierungen in Europa keinen Weg fanden, damit umzugehen.

Unsere Begegnung mit Erasmus hatte uns einmal mehr gezeigt, dass es auch bei bestem Willen nicht immer gelingt, friedlich mit seinen Nachbarn zu leben.
Immerhin, träumen davon, das darf man!

 

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